Bold Unplugged V2 vs. Liteville 301 MK 15
Wer baut den innovativsten MTB-Alleskönner?

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Bold oder Liteville: Wer baut den innovativsten Alleskönner der Saison? Wir haben mit den King of Trails einen alpinen Traumtag verbracht.

Wer baut den innovativsten MTB-Alleskönner?
Foto: ADRIAN GREITER PHOTODESIGN

Die letzten 200 Höhenmeter zum Hochstein, dem „Sportberg“ der Osttiroler Bezirkshauptstadt Lienz, sind das Uphill-Testpiece der Region, zumal wenn man wie wir bereits 1100 kernige Höhenmeter in den Waden hat… Und dann dieser gefühlt lotrechte Karrenweg zum Gipfel, vergiftet mit Wurzeln, losem Gestein und Blockwerk. Selbst mit dem E-MTB benö- tigt man ein gerütteltes Maß an Fahrtechnik, um nicht wie eine Mehlkartoffel vom Radl zu kippen. Sogar die Profis, die alljährlich bei der legendären Red-Bull-Dolomitenmann-Staffel (Berglauf, Paragliden, MTB, Kajak) wetteifern, schieben hier ihr Bike fast alle gen Gipfelkreuz. Und diese Jungs (Mädels dürfen nicht starten) führen federleichte 8-Kilo-Hardtails. Wir hingegen propere Trailbikes. Wobei, wenn es diese beiden Bikes nicht packen, welche dann? Denn mit dem brandneuen Bold Unplugged V2 und dem frisch gelifteten Liteville 301 MK15 Trail haben wir die vielleicht besten, mit Sicherheit variabelsten Bikes ihrer Klasse zu unserer Tagestour in der Tiroler Enklave aufgesattelt. Ein Treffen zweier Trail-Könige vor königlicher Kulisse.

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Test: Bold Unplugged V2 vs. Liteville 301 MK 15
Wer baut den innovativsten MTB-Alleskönner?
Bold oder Liteville: Wer baut den innovativsten Alleskönner der Saison? Wir haben mit den King of Trails einen alpinen Traumtag verbracht.
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Vor fünf Jahren sorgte die Schweizer Firma Bold für maximale Erregung: Ja, wo ist er denn– der Dämpfer? Das ist bis heute Markenzeichen aller Bolds: Das Federbein ist komplett im Rahmen integriert, also voll verkleidet und von außen unsichtbar. Lediglich ein Guckloch im Sitzrohr dient zur Sag-Kontrolle, ein größerer Port unter dem Unterrohr/Tretlager zur Wartung und zur Luftbetankung. Aber auch sonst bietet das Unplugged V2 feinste Schweizer Ingenieurskunst. So bildet ein herrlich gemachter, leichter Carbon-Rahmen die Basis, heckwärts ausstaffiert mit einer klassischen Viergelenker-Kinematik – die ihre 150-mm-Federweg über wunderschöne, organisch anmutende Umlenkhebel ansteuert. Das hinterste Gelenk wiederum, der „Horst-Link“, kann in vier Positionen verstellt werden, was Kettenstrebenlänge und Tretlagerhöhe variiert. So passen Laufräder bzw. Reifen von 27,5 x 2,4„ bis 29 x 2,6“ ins Bold. Weiter geht das Vario-Feuerwerk an der Front: Das Bold kommt mit „neutralem“ Acros-Steuersatz oder mit 1,5°- Vario-Steuersatz von Newmen. So sind Lenkwinkel zwischen 64 und 67° möglich. Wir entschieden uns vorab für ein möglichst ausgewogenes Setup: 29 x 2,3„-Reifen vorne/hinten, Horst-Link auf die zweitlängste Stufe und 0°-Steuersatz.

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Testchef André Schmidt über die Bikes: "Trotz ihrer Leichtfüßigkeit brettern Bold und Liteville in Enduro-Manier hinab. Unsicherheit kommt nie auf, Fahrvergnügen umso mehr."

Oben. Wir versuchen, die Qual der Schiebemeter wegzulächeln. Gelingt ganz gut, weil “sie„ da stehen: die Lienzer Dolomiten, wahnwitzig steile Kalkriesen, mit trotz praller Juni-Sonne noch schneegefüllten Karen. Alles vis-à-vis. Alpiner Porno. Und abgesehen vom Schlussakkord ging uns der Anstieg flüssig vom Fuß.

Weder das Bold mit seinen etwas pummeligen 13,7 Kilo noch das Liteville mit 12,9 Kilo sind Federgewichte, aber leichtfüßig und klettergeil sind sie dennoch. Das liegt an den jeweils ausgewogenen, sportlich-komfortablen Sitzpositionen. Wobei das Bold einen Schuss mehr Schmackes auf die (tiefe) Front und auf das Pedal bekommt, noch geschickter klettert– speziell im hochprozentig Steilen. Befeuert wird das fröhliche Bergaufkurbeln von den beiden ausgeklügelten Hinterradfederungen. Liteville-Fahrer kennen das: Unter Kettenzug zieht sich der Viergelenker-Hinterbau des 301 förmlich auseinander, unterbindet jedes Wippen– klasse! Auf grobem Geläuf kostet das aber einen Hauch Traktion, und bei sehr unrundem Tritt fühlt es sich etwas unharmonisch an. Das 150-mm-DT-Swiss-Fahrwerk am Bold stimmten wir nach Sag-Vorgabe eher soft ab, erhöhten dann bergauf via Doppel-Remote die Druckstufe. Ergebnis: eine sagenhafte Mischung aus Antriebsneutralität und Traktion. Schade nur, dass der Remote mit seinen zwei Zügen die ansonsten so cleane Optik des Bold ein wenig versaubeutelt.

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Am 301 MK15 muss die vollintegrierte Vario-Sattel stütze nicht mehr passend abgelängt werden. Ein Verschließmechanismus ermöglicht die Anpassung.

Was der Schweizer Newcomer nun zelebriert, war bei Liteville schon immer Triebfeder: Innovation. Und Variabilität. Die gipfelt bei der 15. Auflage des 301 darin, dass sich das Flaggschiff der Bayern sowohl als Enduro-Fully mit 160/150-mm-Federweg als auch– wie in diesem Test– als Trailbike mit 140/130 mm aufbauen lässt. Nötig ist dafür jedoch der Tausch von Wippe und Federbein. Wie am Bold lässt sich auch die Position des Horst-Link (hier “DuoLink„ genannt) ändern, sodass ins 301-Heck bei den Rahmengrößen M, L und XL 27,5“- oder 29„-Räder passen. Ohne dass sich die Geo ändert, wohlgemerkt. Mehr noch: Auch vorne können sowohl 27,5“- als auch 29„-Räder verbaut werden– den Höhenunterschied gleicht eine Steuersatzlagerschale aus. Absoluter Clou jedoch ist die komplett integrierte Vario-Sattelstütze names Eightpins, die nebst massivem Standrohr bis zu 220(!) mm Hub bietet. Neu ist, dass sich der zum Fahrerbein passende maximale Auszug der Stütze nun über einen pfiffigen Mechanismus am Stützenkopf einstellen lässt. Das Ablängen der Stütze ist damit passé. Und das dazu notwendige Tool steckt im Sitzrohr. Wie ein Minitool mit Inbus und Torx in der Hinterradnabe. Die wiederum im Liteville eigenen “Evo6„-Standard konstruiert ist und den asymmetrischen Hinterbau ermöglicht. Noch immer ist das 301 nur aus Alu– der Detailreichtum aber fasziniert wie eh und je. Ach ja, wir sind es mit Mischgeo, 29“ vorne und 27,5„ hinten, sowie DuoLink in vorderer Position gefahren.

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Allein für diesen Umlenkhebel gebürt Bold ein Platz in der MTB Hall-of-Fame. Das herrlich organisch geformte Teil dient zudem zur perfekten Sag-Einstellung.

Fütterung! Wir inhalieren auf der Hochstein-Hütte Cappuccino sowie Topfentorte. Und rasen dann via “Russenweg„ in die Tiefe. Fahrtechnisch meist banal, ist dieser, einst von russischen Kriegsgefangenen gebaute Pfad, ein Schlachtfest für Arme, Beine und Federelemente. Flowiges Geschlängel gibt’s kaum, stattdessen meist kerzengerades Highspeed-Gedonner über lose Steine sowie mehr oder weniger ideal geformte Wurzeln. Und? Trotz ihrer Leichtfüßigkeit brettern Bold und Liteville in Enduro-Manier hinab, Unsicherheit kommt nie auf, Fahrvergnühen umso mehr – und wir lassen die Bremsen offen! Die Unterschiede dabei sind erstaunlich: Während das 301 Laufruhe und Komfort über das Handling und die Parts (dicke Reifen) holt, brilliert am Unplugged die Federung: Maximal sensibel, ja fast buttrig ansprechend, pulverisiert das Fahrwerk kleine bis mittlere Stöße, dass es eine wahre Freude ist. Das 301 steht strammer im zugegeben weniger reichlichen Federweg. Alles, was im Weg ist, wird seriös weggeschluckt, aber ein Tick mehr Feinfühligkeit wäre– na ja– fein halt.

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"Beherzt schanzen wir uns über Tables, kleine Doubles und flowige Transfers. Wer sagt denn, ein Trailbike ist nix für den Bikepark?" - Thomas "der Professor" Schmitt, Testfahrer MOUNTAINBIKE

Was ist das eigentlich, ein Trailbike? Gliederte sich das Segment von 120–150-mm-Federweg bisher in Tourenfullys und All-Mountains auf, heißt heute quasi jedes Bergrad Trailbike – mit entsprechend himmelweiten Unterschieden. Bold wie Liteville war bei ihren Neukreationen jeweils wichtig, Agilität und Spielfreude zu bewahren, kein Mini-Enduro auf die Stollen zu stellen. Dennoch sind die Geometrien auf den ersten Blick abfahrtsbetont. Um zwei Kennzahlen zu nennen: 65° Lenkwinkel und 485 mm Reach (Größe M) sind es am Bold, 64,5° und 470 mm am Liteville – das ist jeweils extrem flach und flach.

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Typisch Liteville, an jeder Ecke steckt was Nützliches. In der Hinterradachse verbirgt sich ein Tool mit 5-mmInbus und Torx 25– für fast alle Schrauberarbeiten am 301

Nach 1000 rumpeligen Tiefenmetern spuckt uns “der Russ„ oberhalb der Moosalm aus. Und damit an der Mittelstation des erst im Vorjahr eröffneten Bikeparks Lienz. Statt weiter ins Tal zu wedeln, besteigen wir den wohl ältesten und meditativsten Sessellift der Alpen, rattern im Schneckentempo zur nächsthöheren Alm. Was bedeutet: noch mal 850 Tiefenmeter. Auf Bikepark-typischer Brechsandpiste, kurz unterbrochen von einem ultrasteilen Natur-Trail. Beherzt surfen wir durch die ersten Anliegerkurven, schanzen über Tables, kleine Doubles und flowige Transfers. Wer sagt denn, ein Trailbike ist nix für den Bikepark? Nur hohe Drops&Gaps lässt man besser links liegen. Und es wendet sich das Bergab-Blatt zugunsten des 301: Es liegt trotz wenig Federweg extrem stabil, selbst hohe Fliehkräfte vermögen am Bayern-Bike kaum zu rütteln, wie ein Carvingski zieht es seine Bahnen. Dabei ist es dennoch stets zu fahrtechnischen Scherzen aufgelegt, fährt sich herrlich agil und verspielt. Das Bold zieht wieder enorme Bodenhaftung aus seinem schluckfreudigen Fahrwerk, ob seiner Länge fehlt aber ein Schuss Spiel- und Drehfreude, in Anliegerkurven ist zudem die geringere Rahmensteifigkeit (63,5 Nm/°) im Vergleich zum Liteville (93,2 Nm/°) spürbar. Talstation. Wir grinsen uns an: Mit zwei so königlichen Bikes jetzt Feierabend machen? Nie im Leben, die Lifte haben doch noch zwei Stunden offen…

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Gut zu sehen: der asymmetrische Hinterbau am 301. Die rechte Seite wandert um 6 mm stärker nach außen (Evo6), das Laufrad kann dafür symmetrisch eingespeicht werden
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Die DT-Gabel passt perfekt zum cleanen Look des Bold. Um Luftdruck, Druck- und Zugstufe zu verstellen, ist ein Torx-Tool nötig, das in der Radachse steckt.

Die Bikes im Detail:

Fazit: Auch die 15. Auflage des Kultbikes fasziniert mit steifem Alu-Rahmen, kreuzstabilen Parts und enormen Ideen- sowie Detailreichtum. Dazu rockt die neue, deutlich abgeflachte Geometrie des 301: Ein Carvingski ist in Sachen Spurtreue nichts dagegen! Dennoch lässt sich das Liteville spielerisch und leichtfüßig bewegen. Das Fahrwerk glänzt weniger mit Sensibilität dafür mit Stehvermögen – trotz wenig Hub.

Test-Note: Überragend (226 Punkte)

Bold Unplugged Volume 2

Preis

6655 Euro

Komplettgewicht

13,7 kg

Größe/Material

XS, S, M, L, XL/Carbon

Oberrohr/Kettenstrebe

606 mm/437 mm

Reach/Stack

485 mm/599 mm

Lenk-/Sitzwinkel

65°/78°

Schaltung

1 x 12 Gänge, 30 : 10–51 Zähne, Shimano-XT-Gruppe M8100

Bremsanlage

Shimano XTR (M9120) 203/180 mm

Federung vorne

DT Swiss F535 One, 150 mm

Federung hinten

DT Swiss R 535, 150 mm

Laufräder

DT Swiss XM1501 Spline One

Reifen

Maxxis High Roller II Exo TR 29 x 2,3"

Sonstige Ausstattung

Vario-Sattelstütze Kind Shock Lev Integra (150 mm Hub)

Fazit: Das neue Bold ist ein Hochgenuss. Der in den Rahmen integrierte Dämpfer, die organisch anmutenden Carbonrohre, die elegante DT-Swiss-Gabel – wunderschön! Auch technisch weiß das Schweizer Edelbike zu überzeugen, vor allem das sahnig ansprechende, höchst schluckfreudige 150-mm-Fahrwerk ist der Hammer. Im Direktvergleich fehlt bei aggressiver Fahrweise etwas von der Präzision des 301.

Test-Note: Sehr gut

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Erscheinungsdatum 02.04.2024