Test: MTB-Enduros ab 3599 Euro
Echte Ballermänner: Acht Enduros mit 170mm im Test

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Bock auf bergab? Diese acht Enduros mit satten 170 mm Federweg bügeln jeden Trail platt. Aber auch bergauf wissen die preisattraktiven Wuchtbrummen durchaus zu überzeugen.

Enduro unter 3.599 Euro
Foto: Stefan Eigner

Bedrohlich nähert er sich. Schon die Anfahrt ist keine gemähte Wiese. Steine spritzen hart gegen das Unterrohr, im letzten Moment krallen sich die Reifen an einer glitschigen Wurzel fest. Jetzt gilt’s. Drop or not. Ein kurzer Zug am Lenker, das Vorderrad schwebt bereits in der Luft. Landung, erstaunlich sanft fängt das Fahrwerk Carbon-Ross und Reiter auf. Geschafft. Endlich.

Jeder, der nicht nur konditionelle sondern auch fahrtechnische Herausforderungen sucht, kennt das Gefühl. Wenn zum ersten Mal die fiese Steilabfahrt auf der Hausrunde glückt, der gewaltige Drop, vielleicht gar ein furchterregender Double. In der Regel heißt es dafür: üben, üben, üben. Abkürzungen gibt es im Biker-Leben eben selten. Aber man kann es sich etwas einfacher machen nach dem Motto: "Was ist besser als viel Federweg? Noch mehr Federweg." Denn so gut aktuelle Trail- und Tourenfullys auch geworden sind, in kniffligen Situationen sind und bleiben Enduro-Fullys die Macht auf dem Trail. Und das, obwohl sie – anders als reine Bergabmaschinen aus dem Freeride- und Downhill-Segment – mehr als nur manierlich bergauf fahren. Doch dazu später mehr.

Enduro unter 3.599 Euro
Stefan Eigner

Wabbelige Milchbrötchen?

Wie in den meisten MTB-Kategorien hat sich auch bei den Enduros in den vergangenen Jahren extrem viel getan. Teilweise sogar zu viel! Der Reihe nach: Noch vor zehn Jahren waren viele Enduros im Uphill eine Qual. Und das lag nicht mal an den Gewichten (heutige Enduros sind viel, viel schwerer!), sondern an den hecklastigen Sitzpositionen und den wabbeligen, wegsackenden Hinterbauten. Es war, als würde man in Milchbrötchen treten. Dann folgten erste Experimente mit 29"-Enduros, die sich fuhren wie Bikes auf Stelzen. Ungelenk, unausbalanciert, unmöglich. Pünktlich zum Einzug der 27,5"-Räder kam dann der berühmt-berüchtigte Enduro-Boom. Es gab kaum ein Kaff auf der Welt, in dem kein Enduro-Rennen stieg; und die Bike-Industrie überbot sich mit Enduro-Bikes, -Parts und -Zubehör. Bis hin zur Enduro-Socke. Die Enduros selbst? Ballerten trotz meist "nur" 160 mm Federweg bergab besser denn je, viele Hersteller hörten bei der Entwicklung aber nicht mehr auf den Otto Normalo-Enduristen, sondern nur noch auf ihre Rennfahrer. Mit der Folge, dass diese Dickschiffe für viele unfahrbar wurden.

Enduro unter 3.599 Euro
Stefan Eigner

Auf den ersten Blick scheint sich dieser Trend fortzusetzen, wirken die Enduros der Neuzeit doch noch mehr auf reines Abfahren abgestimmt denn je: Große 29"-Laufräder mit fetten Reifen haben sich im zweiten Anlauf durchgesetzt, die Federwege sich auf imposante 170 mm im Mittel hochgearbeitet, die Frontpartien der Bikes stehen noch flacher und länger, garniert mit massiven Gabeln.

Und damit soll man auch epische, alpine Touren fahren können? Oder mal eine schnelle Runde im heimischen Mittelgebirge? Ja, das geht. Und sogar gut. Den Beweis dazu treten in diesem Test acht Bikes an. Allesamt von großen, namhaften Herstellern, um den Markt möglichst breit abbilden zu können – auch wenn der ein oder andere im Enduro-Segment kultige Hersteller fehlt. Letzteres liegt daran, dass wir die Preisspirale nicht zu hoch drehen wollten. Mit 3599 bis 5499 Euro sind zwar auch die Räder von Cube, Giant, Mondraker, Propain, Radon, Scott, Specialized und YT in diesem Test keine Superschnäppchen, aber es sind Bikes, die ihren Euro wert sind. Und: In dieser Preisklasse geht der Enduro-Spaß erst richtig los. Auch für weniger Geld bekommt man selbstredend seriöses Material, aber leider kein ansatzweise leichtes.

Nicht leicht, aber effizient

Denn wirklich asketisch kommen auch die acht Testbikes nicht daher. Im Schnitt wiegen sie 15,3 Kilo – puh! Am schwersten ist das Mondraker mit 16,2 Kilo. Zum Vergleich: Gerade kommen erste, zugegeben sündteure Light-E-MTBs auf den Markt, die kaum schwerer sind – mit Motor und Akku! "Leicht" ist im Vergleich eigentlich nur das Giant Reign mit 14,2 Kilo, Propain und YT liegen immerhin noch halbwegs klar unter der 15-Kilo-Marke. Dass sich diese Brocken aber alle dennoch gut bis sehr gut an- und hochtreiben lassen, liegt an der Kunst der Ingenieure. Zum einen sind die Heckfederungen fast alle so perfekt abgestimmt, dass sie trotz ihrer langen Federwege kaum oder garnicht wippen und dabei stets hoch im Hub stehen. Das macht das Treten effizient! Selbiges gilt für die im Vergleich zu früher extrem verbesserten Sitzpositionen. Steile Sitzwinkel um 76,5° haben sich überall durchgesetzt, sie rücken den Fahrer optimal über das Tretlager und sorgen für Druck auf dem Vorderrad. Selbst steilste Kraxeleien glücken so erstaunlich einfach. Wirklich spritzig und leichtfüßig fühlt sich das aber höchstens beim flotten Giant an, zumal alle Hersteller auf schwere, sehr griffige Reifen setzen. Wer bei Strava die Uphill-Kronen abräumen will, ist in der Enduro-Kategorie nach wie vor fehl im Sattel.

Maximale Abfahrtspotenz

Ganz anders natürlich, wenn maximale Fahrfreude im Talschuss gesucht ist. Hier performen alle acht Bikes auf mindestens sehr gutem, oft sogar fantastischem Niveau. Erneut ist es das Giant, das sich etwas "anders" fährt als der Rest: Der knappe Federweg am Heck (unter 150 mm) und die angesprochene Leichtigkeit lassen es nicht so satt liegen wie die Konkurrenz. Das andere Extrem stellen die Enduros von Mondraker und Specialized dar, die dank ihrer extrem langen Geometrien wie ein Brett auf dem Trail liegen. Überhaupt: Der Trend zum "Vo-la-hiku"-Schnitt hält an. Alle Bikes sind vorne lang bis sehr lang gezeichnet, hinten meist so kurz wie möglich. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass die Lenkwinkel alle flach zwischen 64 und 65 Grad stehen und sich die Reach-Werte (das ist die "Reichweite" im Stehen) der großenteils in "Medium" georderten Testbikes von 445 mm (Scott) bis 470 mm (Mondraker) erstrecken. Je länger der Reach, desto sicherer steht man im Bike, desto höher sind Laufruhe und Spurtreue. Ein sehr langer Reach kann das Handling aber auch träge machen – oder wie beim Mondraker zumindest etwas Eingewöhnungszeit verlangen. Beim Dampfhammer aus Spanien kommen auch noch relativ lange Kettenstreben von 445 mm dazu. Die meisten anderen Hersteller setzen auf ein wenig kürzere Heckpartien, um dadurch Agilität und Drehfreude zu generieren.

Enduro unter 3.599 Euro
Stefan Eigner

Genereller Tipp: Bei vielen Enduros lohnt der Blick auf die "benachbarten" Rahmengrößen, da die Hersteller versuchen, die Sitzrohrlängen über viele Größen hinweg nicht zu stark zu verändern. Die Bikes wachsen also stärker in die Länge als in die Höhe, was einem oft die Wahl zwischen zwei Größen ermöglicht: die längere für noch mehr Abfahrtspotenz, die kürzere für ein verspielteres Handling. Cube und YT orderten wir daher auch in Größe L, den Rest in M.

In Sachen Ausstattung liefern alle Bikes durchwegs bergaboptimierte Parts: Breite Lenker, große Bremsscheiben und äußerst traktionsstarke, stabile Reifen sind zum Beispiel Usus. In der Güteklasse lassen sich aber deutliche Unterschiede beobachten. So kommen die beiden Versender-Bikes von Propain und YT mit Srams teurer X01-EagleSchaltung sowie erstklassigen Sram-Code-RSCBremsen. Beide Bikes spielen dabei den Preisvorteil des Direktvertriebes aus, gehören aber auch zu den teuersten im Test – was die Edelausstattung erklärt. Etwas bieder sind Scott und Specialized ausstaffiert: Hier tummeln sich beispielsweise nur Sram-NX-Anbauteile. Allerdings kostet das Scott vergleichsweise wenig, und beim US-Enduro gibt es einen erstklassigen Carbon-Rahmen. Dass selbst zum "nice price" top Parts möglich sind, beweisen Cube und Radon. Diese basieren auf höchst soliden Shimano-XT-Teilen, bieten auch sonst starke Teile wie Newmen- oder DT-Swiss-Laufräder. Beide haben wir daher mit unserem "Kauftipp" ausgezeichnet, zumal sie trotz ihrer hohen Gewichte sehr ausgewogene Fahrleistungen zeigen. Das gilt auch für das ebenfalls schwere Scott, dass seine Pfunde aber dank variablem Fahrwerk mit "Traktionsmodus" gut kaschiert. Noch mal flotter geht es mit dem Giant voran, das dafür bergab nicht so ganz mit der extrem starken Konkurrenz mithalten kann. Wer hier, also im Downhill, maximales Glück sucht, landet beim eigenständigen Mondraker, vor allem aber beim brachialen Specialized oder dem satt liegenden YT. Den Testsieg aber erringt am Ende der beste Allrounder im Feld: das rundum gelungene Propain Tyee.

Diese Bikes haben wir getestet:

Die aktuelle Ausgabe
04 / 2024
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Erscheinungsdatum 05.03.2024