Rahmengröße, Bike-Kategorie, Lieferengpässe: Das gilt es zu beachten
Die große MOUNTAINBIKE-Kaufberatung

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Keine Angst: Wenn es um den Kauf eines neuen Mountainbikes geht, braucht es keine Wahrsagerei oder andere Hexenkunst. Ein paar seriöse Ratschläge hingegen helfen – und die haben wir für Sie.

Die große MOUNTAINBIKE-Kaufberatung
Foto: Gustavo Enzler

Egal ob Neu- oder Wiedereinsteiger, egal ob Fortgeschrittener oder alter Hase: Wenn der Kauf eines neuen Bikes ansteht, wachsen bei allen die Fragezeichen auf der Stirn. Wie viel Federweg soll es sein? Welche Laufradgröße? Woher weiß ich, ob das Bike passt? Was muss ich ausgeben? Wo kaufe ich am besten? Selbst wir als vermeintliche Experten müssen uns Saison für Saison in diese Thematiken einarbeiten. Zum einen, weil die schöne Mountainbike-Welt wirklich unfassbar komplex ist, zum anderen, weil die Entwicklung weiterhin rasend voranschreitet. Was gestern galt, ist heute längst überholt – das werden Sie bei vielen der in diesem Kaufberatungs-Special behandelten Themen sehen. Nie war eine Kaufberatung also so wichtig wie heute. Und es kommt noch etwas Heikles dazu:

Wir gehen in das zweite Jahr der Corona-Pandemie. Radfahren boomt seit dem ersten Lockdown – und Bikes und Bike-Parts scheinen das neue Klopapier zu sein. Kaum verfügbar, schon ausverkauft. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Es gibt nach wie vor genug Auswahl und Verfügbarkeiten. Auch auf diese Problematik gehen wir auf den kommenden Zeilen.

Budget: Wie viel Geld Sie für das neue MTB ausgeben müssen

Die schlechte Nachricht zuerst: 2021 müssen Bike-Käufer mehr ausgeben als je zuvor. Das liegt vor allem an der extrem hohen Nachfrage an Fahrrädern. Der daraus entstandene "Stau" in den Produktionsstätten in Fernost sowie Engpässe beim Container-Transport sorgen für Mehrkosten, die an den Kunden weitergegeben werden. Fast alle Hersteller haben in den vergangenen Monaten die Preise im einstelligen Prozentbereich erhöht,zum Teil sogar um bis zu 20 Prozent!

Die gute Nachricht: Preisattraktive VolumenModelle findet man dennoch im Programm der Hersteller. Vor allem Online-Versender mit Direktvertrieb bieten viel fürs Geld. Perfekt für Einsteiger sind Hardtails mit Alu-Rahmen und Federgabel. Diese gibt es schon ab 1000 Euro. Eine Stufe drüber, für circa 1400 Euro, bietet beispielsweise Canyon sogar schon ein Alu-Hardtail mit Fox-34-Gabel, Shimano-XT-Parts und einer Vario-Sattelstütze – mehr Bike braucht eigentlich keiner, zumindest nicht am Anfang. Doch auch der Fachhandel hat attraktive Angebote von Marken wie beispielsweise Conway oder Cube. Top-Hardtails sind hier teils zu ähnlichen Preisen wie im Internet erhältlich.

Redaktion

Wer ein vollgefedertes MTB will, muss im Schnitt tausend Euro mehr ausgeben. Sprich, hier beginnt der halbwegs seriöse Spaß erst ab 2000 Euro, wirklich "gut" werden die Bikes ab rund 3000 Euro. Nach oben gibt es kaum Grenzen: Top-Modelle mancher US-Marken wie Specialized, Pivot oder Santa Cruz kommen mit allerlei technischen Schmankerln – und fünfstelligen Preisen.

Wo soll ich kaufen? Fachhandel oder Internet?

Dinge online zu kaufen dürfte für viele mittlerweile zur Gewohnheit geworden sein. Doch sollte man auch sein Bike im Internet bestellen, um es sich dann per Paketbote liefern zu lassen? Ein großer Vorteil der im Radbereich sehr beliebten Online-Händler wie Canyon, Propain, Radon, Rose oder YT ist das extrem attraktive Preis-Leistungs-Verhältnis, da sich die Direktvertriebler den "Umweg" über und damit die Marge für den Händler sparen. Dabei ist der Kauf auch durchaus bequem, da von zu Hause aus und mit unzähligen Vergleichsmöglichkeiten.

Speziell in Sachen Passform sollte man sich aber vorab sicher sein. Zwar bieten alle Versender einen Online-Größenfinder an, eine Probefahrt ist aber nicht möglich – selbst Probesitzen kann man lediglich in vereinzelten Filialen (meist am Firmensitz). Oder teils bei Kunden, die ein Bike der Marke besitzen und neuen Kunden Testrides anbieten.

Eine weitere Hürde beim Online-Kauf ist die Montage des Rads. Zwar kommen die Bikes vormontiert im Karton, das finale Zusammenschrauben und vor allem das Setup aber obliegt dem Kunden. Ein guter Fachhändler ist zudem eine echte Servicekraft, die auch Inspektionen vor Ort durchführt oder mal schnell Verschleißteile austauscht.

Lohnt sich der Kauf eines Gebrauchtrades?

Das bevorzugte Traumbike ist ausverkauft, in der präferierten Rahmengröße nicht auf Lager, nicht pünktlich lieferbar oder als Neurad –eventuell wegen der aktuellen Preisanpassungen – außerhalb des Budgets? Dann kann sich ein Blick in die bekannten Gebrauchtbörsen von eBay, eBay Kleinanzeigen, Facebook Marketplace, Bikemarkt oder natürlich MOUNTAINBIKE lohnen. Vielleicht gibt es ja sogar das ausgesuchte Rad in einer Vorjahresversion mit oft nur geringfügig anderen Parts. Wobei der Corona­-Bike­-Boom dafür sorgt, dass die Nachfrage auch auf dem Gebrauchtmarkt aktuell extrem ansteigt – was die Preise hochtreibt.

Rein technologisch gilt: Die Entwicklung geht bei Mountainbikes weiterhin extrem rasant weiter, dennoch ist ein Bike aus der Vorsaison noch lange nicht von gestern. In der Regel sind die Produktzyklen bei MTBs auf drei bis vier Jahre ausgelegt. Ein Bike aus dem Jahr 2018 kann also durchaus noch dieselbe technische Basis innehaben wie eins aus 2021 – und sich entsprechend gleich gut fahren

Ein paar Tipps zur Suche: Haben Sie ein Rad in die nähere Auswahl genommen, erstellen Sie zunächst einen "Suchauftrag" mit den typischen Bezeichnungen des Bikes, also Herstellernamen, Bezeichnung und ggf. Ausstattungsvariante in den diversen Portalen. Fortan melden diese Neuinserate ins Postfach oder in der App.

Tipp: Erstellen Sie auch einen Suchauftrag mit typischen, fehlerhaften Schreibweisen: also etwa Specialzied statt Specialized, das kann verborgene Perlen hervorholen.

Traumrad gefunden? Dann gilt natürlich wie bei jedem Gebrauchtkauf die obligatorische Vorsicht. Zwar sind die angesprochenen Portale per se seriös, schwarze Schafe tummeln sich aber überall. Unsere Checkliste hilft Ihnen, Fallstricke zu umgehen. Am sichersten ist natürlich die Übergabe vor Ort, bei Vorabbezahlung sollten Sie auf einen Käuferschutz (etwa via Paypal) bestehen. In jedem Fall empfehlenswert ist es, die Originalrechnung anzufragen und die dort hinterlegte Rahmennummer abzugleichen. Bikes jeglicher Couleur sind beliebtes Diebesgut, mit der Originalrechnung sichern Sie sich ab. Obacht auch bei der gerne angepriesenen langjährigen Rahmen­-Garantie: Viele Hersteller gewähren sie nur dem Erstkäufer.

Redaktion

Corona-Pandemie: Sind nicht alle Bikes ausverkauft?

Zu den aktuell kursierenden Aussagen über leergekaufte Radläden sprachen wir mit dem Marketing-Manager von Santa Cruz, Sebastian Tegtmeier.

MOUNTAINBIKE: Sind tatsächlich schon alle Bikes ausverkauft?

Sebastian Tegtmeier: Nein, die Meldungen von Online-Händlern über derartige Lieferengpässe überzeichnen das Bild ein wenig. Für uns als Fachhandelsmarke ist die Situation noch eine andere. Ich glaube, so geht es auch vielen anderen Marken, die über den stationären Handel verkaufen. Vor allem kleine lokale Händler haben noch viele Bikes auf Lager. Wir produzieren und verschicken derzeit so viele Bikes wie nie zuvor, was heißen soll, dass auch weiterhin Bikes im Handel eintreffen

MOUNTAINBIKE: Wie finde ich denn derzeit mein Traum-Bike?

Sebastian Tegtmeier: Natürlich gibt es gewisse Modelle, die schon jetzt ausverkauft sind. Von unserem E-Bike Bullit ist beispielsweise jedes Rad, das bis Juni produziert wird, bereits reserviert. Auf unserer Homepage findet man über die Händlersuche aber auch kleine Händler, die nicht so bekannt sind. Dort findet man noch viele Modelle. Ich selbst habe kürzlich versucht, eine Shimano-XT-Kassette online zu kaufen. Dort war sie überall ausverkauft. Der lokale Bikeshop hatte sie auf Lager, natürlich nicht zum Schnäppchenpreis. Genauso verhält es sich auch mit den Bikes, es lohnt sich gerade jetzt, mehr Zeit in die Recherche zu investieren. Die Omnipräsenz an Produkten ist nicht mehr gegeben

MOUNTAINBIKE: Sind denn Schnäppchen momentan drin?

Sebastian Tegtmeier: Händler werden aktuell keine Bikes zu Schnäppchenpreisen verkaufen. Die hohe Nachfrage im letzten Jahr hat den sonst vorhandenen Puffer an weniger populären Modellen, Farbvarianten oder Größen quasi aufgebraucht.

MOUNTAINBIKE: Ist eine Besserung der Lage in Sicht?

Sebastian Tegtmeier: Ja, insgesamt wird sich das wieder normalisieren. Die Jahre 2020 und 2021 sind eher als Ausreißer anzusehen. In den nächsten drei bis vier Jahren wird die Fahrradbranche wieder zu einem gesunden und nachhaltigen Wachstum zurückkehren.

Wie ermittle ich die passende Rahmengröße?

Radlabor/Sabrina Kral
Wer absolut perfekt sitzen will, bucht ein Bike-Fitting – wie hier beim Experten von radlabor.de

Lange Zeit wurde die Sitzrohrlänge eines Bikes zur Berechnung der passenden Größe genutzt – mittels der eigenen Schrittlänge und eines Multiplikationswertes. Die Sitzrohrlänge ist bei modernen MTBs aber kein Kriterium mehr, die Sitzhöhe wird primär durch die Sattelstütze eingestellt – auch der Siegeszug langhubiger Vario-Sattelstützen hat dazu geführt. In der Regel versuchen die meisten Hersteller, das Sitzrohr nun möglichst kurz zu zeichnen, um den Schwerpunkt niedrig und die Steifigkeit hoch zu bekommen. Dennoch gilt natürlich: Mit wachsender Rahmengröße wächst auch das Sitzrohr mit. Auch die Oberrohrlänge hat für die Größensuche an Bedeutung verloren. Per se geben Oberrohr und Vorbau Aufschluss darüber, ob man eher gestreckt oder gedrungen auf dem Bike sitzt. Früher waren die Oberrohre von XC-/Marathon-Bikes lang – für eine sportliche Sitzposition, Enduros hatten kurze Oberrohre. Aktuell unterscheiden sich die Längen von Kategorie zu Kategorie nicht mehr,oft sind abfahrtslastige Bikes sogar länger geschnitten. Die Länge der Sitzposition wird stattdessen via Vorbaulänge "eingestellt". Heißt: Während kurzhubige, aufwärtsorientierte Bikes relativ lange Vorbauten um 80 mm besitzen, kommen abfahrtslastige Bikes mit Stummeln um 40 mm. Heutzutage wichtiger ist der "Reach", der von der Oberrohrlänge zwar abhängig ist, aber zeigt, wie der Fahrer im Rad "steht". Je länger der Reach, desto mehr Bewegungsfreiheit herrscht im Bike, desto fahrstabiler ist es. Bleibt noch die Steuerrohrlänge. Diese beeinflusst den "Stack", die Höhe der Front. Je höher,desto aufrechter sitzt/steht der Biker, je niedriger,desto gedrungener. Dabei lässt sich die Fronthöhe über Steuerrohr-Spacer sowie über den "Rise" (Erhöhung) des Lenkers leicht anpassen. Und wie finde ich nun die richtige Größe? Fas talle Hersteller geben die Größe ihrer Rahmen/Bikes schon lange nicht mehr in Zentimetern oder Zoll an, sondern nutzen "T-Shirt-Größen" von XXS bis XXL, wobei sich die Auswahl bei den meisten Bikes leider auf vier Größen beschränkt .Und tatsächlich: Wenn Sie "normal gebaut" sind und Ihre Konfektionsgröße wählen, wählen Sie auch in aller Regel das passende MTB. Ein"L-Träger" sitzt also auf einem Größe-L-Bike richtig – nicht immer, aber meistens.

Fully oder Hardtail?

MB-All-Mountain-Test 2021
Stefan Eigner
Während das Hardtail einen klassischen Look hat, wirken Fully-Hinterbauten futuristischer. In der Regel kommen Kinematiken mit drei bis vier Lagerpunkten zum Einsatz

Ein Bike mit Voll- oder nur Frontfederung? Das war früher eine Glaubensfrage. Fully-Fahrer galten in den Augen von Bergradlern der ersten Stunde als verweichlichte Nixkönner. Die Zeiten sind zum Glück vorbei, und auch bei den MOUNTAINBIKE-Lesern haben sich die Fullys (kurz für Fullsuspension), also die Bikes mit Federung an beiden Rädern, durchgesetzt. Durch das gefederte Heck ist die Fahrdynamik besser, die Traktion ist höher, Komfort und Sicherheit damit ebenso. Grobe Strecken sind mit einem Fully in aller Regel schneller und besser zu meistern – runter wie hoch. Selbst im Cross-CountryWeltcup, wo es auf jedes Gramm ankommt, setzen die Profis heute fast alle aufs (schwere) Fully. Dennoch hat auch das Hardtail seine Liebhaber. Und das zu Recht! Ein Hardtail ist einfach herrlich unkompliziert. Es wiegt weniger, es ist weniger dran, was man einstellen und warten muss oder was kaputt gehen kann. Dazu kostet es bei vergleichbaren Parts rund 1000 Euro weniger. Und das direkte Fahrgefühl sowie den cleanen Look muss man einfach lieben.

Klassisch filigran: Hardtails wirken in der Seitenansicht luftiger.

Wie viel Federweg benötige ich?

Wie sagt der Volksmund? Viel hilft viel! In Sachen Federweg am MTB gilt das durchaus auch. Je mehr Federweg ein Bike besitzt, desto größere Schläge kann es verdauen – logisch. In der Regel gilt zudem, dass bei mehr Hub auch massivere Federelemente zum Einsatz kommen. Zum Beispiel Gabeln mit größerem Standrohrdurchmesser oder Dämpfer mit mehr Volumen und/oder Ausgleichsbehälter. Mehr Größe bedeutet hier auch mehr Platz für den Ölfluss und hochwertige Dichtungen, das Ansprechverhalten bessert sich in Folge. Aber: All das wiegt auch mehr. Von daher bestimmt der Federweg den Einsatzbereich und somit die Kategorie. Während leichte, auf Vortrieb gepolte Cross-Country-Bikes mit 100 mm Federweg auskommen (müssen), liegen an abfahrtslastigen Enduros heutzutage um 170 mm an. Für die meisten Biker, die im Mittelgebirge oder auch den Alpen gerne lange Touren fahren, sind 120 bis 150 mm Federweg in aller Regel der beste Kompromiss.

Welche Laufradgröße soll ich kaufen?

Benjamin Hahn Fotografie
Nicht nur der Durchmesser der Felgen ist im Laufe der Jahre gewachsen. Heute sind die Felgen auch erheblich breiter als früher. Waren einst 19–21 mm Innenbreite (Maulweite) Standard, sind es heute um 30 mm

Über Jahrzehnte waren Laufräder und Reifen in "26 Zoll" buchstäblich das Maß der Dinge. Wenige Versuche, größere Durchmesser zu etablieren, scheiterten – etwa von Gary Fisher – oder blieben Nischenprodukte von Surly & Co. Erst als vor gut 15 Jahren US-Riese Specialized auf sogenannte 29"-Räder setzte, kam das Ganze ins Rollen. Auch wenn sich die ersten Specialized-Twentyniner grausam fuhren ... 29 Zoll? Das ist ein Kunstbegriff, der Außendurchmesser der Felgen beträgt wie am Renn- oder Trekkingrad 622 mm. "Marketingexperten" rechneten die Höhe eines MTB-Reifens dazu – und kamen auf 29". Im Laufe der Jahre setzten sich Name wie Format durch, erst im XC-Segment, dann bei Tourenfullys, heute auch bei All-Mountains und Enduros. Warum?

Weil sich 29" für die überwiegende Mehrheit schlicht besser fährt. Die "Big Wheels" sind zwar schwerer und schlechter zu beschleunigen, aber sie halten das Tempo besser: durch höhere Kreiselkräfte und weil sie in einem flacheren Winkel auf Hindernisse treffen, somit weniger abgebremst werden. Zudem liegt das Tretlager in Relation zur Radachse tiefer, was den Fahrer besser ins Rad integriert. Steigendes Vorderrad bergauf? Überschlaggefühle bergab? Mit 29" Relikte der Vergangenheit. Zudem ist der Grip bei 29" durch die längere Aufstandsfläche besser. Bleibt das Thema geringere Wendigkeit – das die Bike-Industrie dank optimierter Geometrien aber quasi eliminiert hat.

Redaktion

Wer dennoch kleinere Räder fahren möchte, dem bietet sich bei einigen Modellen noch immer die Möglichkeit dazu: 27,5". Dieses Maß kam vor rund zehn Jahren als "idealer Kompromiss" aus 26" und 29" auf, konnte sich dann gegen die 29er aber doch nicht durchsetzen. Dennoch: Speziell für kleinere Bikerinnen und Biker kann 27,5" eine sehr gute Wahl sein. Zudem setzen einige Hersteller speziell im E-MTB-Bereich auf einen Laufradmix aus stabilen 29" vorne und traktionsstarken 27,5" (mit fetten Reifen) hinten.

Rahmenmaterial: Aluminium oder Carbon?

Als die ersten MTBs das Licht der Trails erblickten, gab es nur ein Rahmenmaterial: Stahl – wie seit über einem Jahrhundert im Fahrradbau bewährt. Doch bereits Anfang der 90er Jahre wurde Stahl am MTB verdrängt: zu schwer, zu weich. Heute gibt es zwar einige Stahlrahmen, die sich teils fantastisch fahren – aber nur als Nischenprodukt. Gleiches gilt für das Edelprodukt Titan. Dominierend sind Aluminium und Carbon. Vor allem, wer auf geringstes Gewicht abfährt, der wählt Carbon. Die teure Kohlefaser bietet extreme Zugfestigkeit, erlaubt es, tragende Bauteile gezielt zu verstärken und an anderer Stelle weniger Material einzusetzen – das spart Gewicht bei dennoch hoher Steifigkeit. Aber: Carbon reagiert unter Umständen empfindlich, Schäden sind oft nicht sofort erkennbar und können zu einem spontanen Bruch führen. Alu wiegt zwar in der Regel mehr (in etwa sind es 500 g am Rahmen), kostet aber viel weniger und ist im Bruchverhalten gutmütiger. Zudem ist die Rahmenfertigung in Fernost meist automatisiert, während Carbon-Rahmen in Handarbeit entstehen, was eher zu Fehlern in der Herstellung führen kann. Bei Parts gilt dasselbe: Carbon ist teurer, leichter, in der Herstellung aufwendiger und unter Umständen im Bruchverhalten kritischer.

In Sachen Umweltverträglichkeit schneiden beide Materialien nicht gut ab. Bei Alu sind Rohstoffbesorgung sowie die Erstverarbeitung diskutabel, Carbon lässt sich gar nicht oder kaum recyceln, und bei der Verarbeitung kann es zu Problemen (giftige Dämpfe etc.) kommen.

Welche Bike-Kategorie ist für mich ideal?

Früher war alles besser. Nein, natürlich nicht. Aber einfacher war einiges schon. Zum Beispiel die Auswahl eines Mountainbikes. Anfang der 90er Jahre, als der Bike-Boom die USA schon überrollt hatte und Europa erfasste, gab es selbst bei den damals größten Herstellern vielleicht ein Dutzend MTBs im Angebot. Heute sind es bei Cube und Co. über hundert, aufgeteilt in zig Kategorien. Kategorien? Ja, denn unser Sport hat sich in der Vergangenheit extrem ausdifferenziert. Wurden einst gar Weltmeisterschaften im Cross-Country wie im Downhill auf demselben Bergrad gewonnen, gibt es jetzt für jede Spielart des Bikens Spezialisten. Die für uns wichtigsten fünf Segmente stellen wir Ihnen vor. Muss das sein? Ja und nein. Gerade an "den Rändern", also im Bereich Cross-Country oder Enduro, benötigen ambitionierte Hobbyisten und Profis inzwischen in der Tat das ideale Sportgerät. So wie man ja auch nicht mit einem Slalomski zur Abfahrt auf der Streif antritt oder mit einem Formel-1-Boliden bei der Rallye Dakar. Für alle "Normalos" empfehlen sich wie seit vielen Jahren die Kategorien mit gemäßigtem Hub: Trail-/Tourenbikes liefern um 130 mm Federweg, All-Mountains um 150 mm – mehr braucht man halt selten. Die Bikes beider Kategorien haben dabei zuletzt zwar stark an Bergabpotenz zugelegt durch flach-längere Geometrien und wuchtigere Federelemente; dank top Kinematiken und exzellenter Sitzpositionen kraxeln sie dennoch klasse. So leicht(füßig) wie einst sind sie jedoch nicht. Hier könnte die junge Down-Country-Klasse die Lücke schließen: geringes Gewicht und dennoch spaßig bergab – klingt verlockend, oder?

Cross-Country ("XC")

Federweg: Leichte 100-mm-Federgabeln sind gesetzt. Bei Fullys hinten ebenso 100 mm, bei den wenigen Softtails am Markt um 60 mm

Gewicht: Topmodelle wiegen knapp unter 10 Kilo im Fully-Bereich, Hardtails unter 9 Kilo

Typische Parts: Die Anbauteile sind auf geringes Gewicht getrimmt. Filigrane Federbeine, Gabeln mit 32 mm Standrohrdurchmesser, Lenker und Felgen gerne aus Carbon. Vario-Sattelstützen (mit weniger Hub) sind im Kommen.

Einsatzzweck/Charakter: Typische Cross-Country-Bikes sind auf maximalen Vortrieb ausgelegt – schließlich sind es die Waffen der Wahl für Cross-Country und Marathon-Racer – vom Wochenendrennfahrer bis zum Olympioniken. Dabei setzen Hobbyisten und Pros sogar fast identisches Material ein. XC-Bikes sind eben die Formel 1 auf zwei Rädern. Ab einer gewissen Preisklasse ist Carbon bei Rahmen wie bei Parts das Material der Wahl, um das Gewicht niedrig zu halten. Das Handling der Bikes ist "giftig"-direkt, die Federwege knapp bemessen. Alles ist auf Effizienz bergauf ausgelegt. Dennoch kommen moderne 100-mm-Bikes auch auf knackigen Trails durchaus gut klar. Kein Wunder, die Rennstrecken im Profizirkus werden auch immer schwerer.

Prominente Modelle: Canyon Lux (Fully) und Exceed (Hardtail)

Cannondale Scalpel (Fully) und F-Si (HT)

Orbea Oiz (Fully, MOUNTAINBIKE-Testsieger)

Scott Spark RC (Fully) und Scale (Hardtail)

Specialized Epic (Fully) und Epic HT (HT)

Down-Country ("DC")

Federweg: Fully only": 120 mm Hub vorne sind Standard, heckseitig stehen 100–120 mm Federweg an.

Gewicht: Im Vergleich zu ihren XC-Brüdern packen die DC-Modelle rund 1,5 Kilo drauf

Geometrie: Die Rahmen und damit die Geos basieren meist auf den XC-Fullys der Hersteller. Längere Gabeln sorgen für einen um 1° flacheren Lenkwinkel. Wird der Hinterbau nicht angepasst, flacht der Sitzwinkel ab!

Typische Parts: Im Vergleich zu XC-Pendants kommen erheblich abfahrtslastigere Anbauteile ans Rad: Gabeln mit 34/35-mm-Standrohren, Vario-Sattelstützen und Reifen teils gar aus dem Enduro-Regal sind angesagt.

Einsatzzweck/Charakter: Down-Country-Bikes sind die wilden Cousins der Cross-Country-Fullys. Der Begriff selbst ist ein mittelgut gelungenes Kunstwort aus Downhill und eben Cross-Country. In der Regel nutzen die Hersteller für diese sehr junge Kategorie daher auch ihre XC-Rahmen und trimmen diese mit längerer 120-mm-Gabel und Parts aus dem Trail-/ All-Mountain-Segment auf mehr Bergab Potenz. Teils leidet dadurch aber die Geometrie, die Sitzposition wird unter Umständen (zu) hecklastig. Bikes, die konsequent auf ein ausbalanciertes 120-mm Fahrwerk sowie einen leichten Trail-Aufbau setzen, haben aber in unseren Augen enormes Potenzial: Es sind die effizient-agilen Supertourer von morgen!

Prominente Modelle: Mondraker F-Podium DC

Rose Thrill Hill Trail

Specialized Epic Evo (Testsieger)

Trek Top Fuel

Yeti SB115

Trail/Tour ("TR")

Federweg: Um 130 mm haben sich etabliert. An der Gabel teils ein Zentimeter mehr – auch bei Trail-Hardtails sind es oft 140-mm-Forken

Gewicht: Um/unter 13 Kilo sind aktuell ein sehr guter Wert. Trail-Hardtails wiegen ein Kilo weniger.

Geometrie: Auch gern "Mini-Enduros" tituliert, sind auch Trailbikes modern – also vorne flach/lang, hinten steil/kurz – gezeichnet. Lenkwinkel unter 65° sind keine Seltenheit. Es gibt auch gemäßigtere, "tourigere" Modelle.

Typische Parts: Die Parts unterscheiden sich oft kaum von den Down-Country-Bikes. Also Gabeln mit 34- oder 35-mm-Standrohren, Vario-Stützen, gripstarke Reifen. Einige Hersteller setzen bereits auf massivere Dämpfer im Heck.

Einsatzzweck/Charakter: Neue, hippe Kategorie oder alter Hut? Bikes um 130 mm Federweg hat es schon lange gegeben, zuletzt jahrelang im Tourenfully-Segment. Speziell den US-Marken war so ein typisch europäischer Einsatzzweck aber stets zu bieder: Das Trailbike als amerikanisches Gegenstück zum Tourer war geboren. Aktuell hat diese Interpretation der 130-mm-Bikes eindeutig die Oberhand gewonnen: Auch die hiesigen Fullys betonen nun den Fahrspaß deutlich mehr, nutzen bergablastigere Geometrien und Parts als früher. Das ist fraglos genial auf flowigen wie kniffligen Pfaden, treibt aber auch das Gewicht in die Höhe. Für klassische Tourenfans lohnt daher der Blick nach links (Down-Country). Lässig, aber speziell: Trail-Hardtails sind schwer im Kommen

Prominente Modelle: Canyon Neuron

Cube Stereo 120

Specialized Stumpjumper

Radon Cragger (Hardtail, Testsieger)

YT Izzo

All-Mountain ("AM")

Federweg: Die Allrounder bieten in der Regel am Heck 140–150 mm Federweg, an der Gabel häufig einen Zentimeter Hub mehr.

Gewicht: Die Bikes wiegen im Schnitt etwas unter 14 Kilo

Geometrie: Vor allem die neuen Modelle gleichen sich der Enduro-Kategorie stark an: flache Lenkwinkel (64°–65°) und lange Reach-Werte sorgen für viel Bewegungsfreiheit im Bike. Die Sitzwinkel stehen sehr steil (76–77°).

Typische Parts: Spitz gesagt: Die AMs tragen die abgelegten Enduro-Klamotten auf ... Vor allem Gabeln mit 36-mm-Standrohren, aber auch großvolumige Federbeine mit Ausgleichsbehälter sind angesagt. Dazu: dicke, stabile Reifen!

Einsatzzweck/Charakter: Lange Zeit waren All-Mountains – zumindest in Europa – die Stars unter den MTBs. Fast so leicht und flott bergauf wie ihre damaligen kleinen Brüder, die Tourenfullys. Aber mit mehr Hub, mit etwas pfiffigerem Handling, mit mehr Würze. Und dennoch war die Kategorie zuletzt quasi tot. Die Hersteller konzentrierten sich auf angesagte Trail- und Enduro-Bikes, welche die Zielgruppe der AMs von beiden Seiten "auffraßen". Doch unser Test in dieser Ausgabe zeigt: AM is back! Die neusten150-mm-Bikes sind kaum schwerer als Trailbikes, fahren sich genauso effizient bergauf, aber noch besser bergab. Da reichen sie zwar nicht ganz an die Enduros heran, denen sie aber wiederum bergauf locker davonzischen. Heißt: Die wahren Alleskönner leben wieder!

Prominente Modelle: Canyon Spectral 29

Radon Slide Trail

Scott Genius

Specialized Stumpjumper Evo (Testsieger)

YT Jeffsy

Enduro ("EN")

Federweg: Früher auf 160 mm "festgenagelt", setzt die jüngste Enduro-Generation zumindest vorne auf 170 mm, teils sogar auf 180 mm Hub

Gewicht: Schweres Gerät: Selbst Oberklasse-Modelle wiegen oft um 15 Kilo. Highend um 14 Kilo.

Geometrie: Flache und lange Front, relativ kurzes Heck mit steilem Sitzwinkel: Enduros prägten die modernen Geometrien wie keine andere Kategorie. Aktuell unterscheiden sie sich hier aber quasi nicht von den All-Mountains.

Typische Parts: Die neuen Superenduro-Gabeln Fox 38 und Rock Shox Zeb mit je 38-mm-Standrohren machen die Enduros noch abfahrtslastiger, quasi zu pedalierbaren Downhillern. Im Heck kommen öfter Stahlfederbeine zum Einsatz

Einsatzzweck/Charakter: Let’s fetz! Enduros sind die Könige der Berge – solange es bergab geht. Die aktuellen 170-mm-Bikes liegen dank ihrer extrem langen Geometrien unfassbar satt und sicher, die teils brachial ausgestatteten Fahrwerke sind wahre Schluckspechte und die Parts kompromisslos auf Bergab-Rabatz gepolt. Dank ausgefeilter, wippfreier Kinematiken und steiler Sitzwinkel lassen sich die Dickschiffe dennoch erstaunlich manierlich berg auf treten. Für lange Auffahrten sollte man aber etwas mehr Zeit einplanen: Mit jedem Höhenmeter werden die hohen Gewichte und vor allem auch die klebrigen Reifen mehr und mehr zum Hemmschuh. Prima: Dank der Rennserien wird im Enduro-Segment weiterhin viel investiert/entwickelt

Prominente Modelle: Cube Stereo 170

Giant Reign

Propain Tyee (Testsieger)

Scott Ransom

Specialized Enduro

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04 / 2024
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Erscheinungsdatum 05.03.2024