Was darf ein gut belüfteter Bike-Helm kosten? MountainBIKE hat 24 Modelle aus zwei Preisklassen im aufwendigen Labor- und Praxistest miteinander verglichen.
Was darf ein gut belüfteter Bike-Helm kosten? MountainBIKE hat 24 Modelle aus zwei Preisklassen im aufwendigen Labor- und Praxistest miteinander verglichen.
Tatsächlich gibt es auch 2010 noch immer Biker, die standhaft behaupten, unter einem Helm zu stark zu schwitzen – und ihn deshalb ablehnen.
Dass ein Helm im Falle eines Sturzes vor Verletzungen schützt – und auch schützen muss – das weiß sicher auch diese Fraktion.
Dass sich aber gerade in puncto Gewicht und Belüftung kaum mehr Argumente gegen das Tragen eines modernen Kopfschutzes finden lassen, das scheint an den Helm-Muffeln nach wie vor vorbeigegangen zu sein.
Um herauszufinden, wie komfortabel Bike-Helme 2010 tatsächlich sind, hat MB zum Mammuttest geladen. 24 Kandidaten stellten sich der Prüfung – ein direkter Vergleichskampf zwischen zwei Preisklassen. Zwölf Helme zählen zur beliebten Kaufklasse zwischen 80 und 100 Euro: Alle zwei Jahre, so aktuelle Zahlen der MB-Leserbefragung, wird dieser Betrag von MB-Lesern in einen neuen Helm investiert.
Ob es sich aber vielleicht doch lohnt, tiefer in die Tasche zu greifen? Diese Frage beantwortet der Test ebenfalls: Die zwölf direkten Konkurrenten kommen jeweils von den gleichen Herstellern, liegen jedoch eine Preisklasse darüber zwischen 120 und 150 Euro.
Sechs der 24 Kandidaten sind brandneue 2010er Modelle: Bell Sequence, Catlike Vacuum, Lazer Nirvana, Limar Pro 104, Rudy Project Sterling und Specialized Vice traten erstmals zum Vergleichstest an. Weitere elf Helme sind zwar keine Neuerscheinungen, finden sich aber ebenso erstmals in einem derart umfangreichen Produkttest. Weitere sieben bewährte Modelle wurden für 2010 teilweise überarbeitet.
Zum zweiten Mal nach 2009 entschied sich MB, Helme nicht in puncto Schutz, sondern auf Tragekomfort und Belüftung hin zu testen. Grund dafür ist die Tatsache, dass sich trotz verschiedener Bemühungen einiger EU-Abgeordneter nichts an der Verbindlichkeit der Norm geändert hat, die die Schutzwirkung eines Fahrradhelmes regelt.
Auch 2010 gilt europaweit: Helme, die sämtliche Prüfungen nach EN 1078 bestehen und deshalb das CE-Prüfsiegel tragen dürfen, gelten als sicher. Klar, im Falle eines Sturzes ist die Schutzwirkung eines Helms entscheidend. Aber: Alle anderen Eigenschaften wie Tragekomfort, Bedienung und nicht zuletzt Belüftung spielen ständig eine Rolle, weil sie stets zum Tragen kommen – nicht nur beim Sturz.
Um die oftmals feinen Unterschiede zwischen den einzelnen Modellen herauszufinden, hat MountainBIKE neben den neue Maßstäbe setzenden Laboruntersuchungen speziell die Alltagseigenschaften der 24 Prüflinge untersucht. 55 Helme – alle Modelle in allen verfügbaren Größen – bevölkerten einen Monat lang die MB-Redaktion und wurden von verschiedenen Testern justiert, getragen, geprüft und bewertet.
Relativ neu sind Helme speziell für All-Mountain-Piloten. Diese wünschen sich vor allem eine hohe Schutzwirkung – etwa durch eine am Hinterkopf heruntergezogene Schale. Und auch der Style darf dabei nicht zu kurz kommen.
MountainBIKE erleichert Ihnen die persönliche Wahl, denn Sie finden in jedem Testbrief erstmals einen Schieberegler, der den optimalen Einsatzbereich eines Helms anzeigt. Auch der sicherste Helm kann nicht optimal schützen, wenn er nicht zur Kopfgröße und -form seines Trägers passt.
Nur vier Helme sind Unisize-Modelle, die auf Kopfumfänge von 54 bis 61 Zentimeter passen. Ihr Nachteil: Um auch die größte Größe zu bedienen, braucht es eine große Helmschale. Folge: Wer aufgrund eines kleinen Umfangs den Verstellmechanismus der Größenanpassung des Helms weit zudrehen muss, provoziert einen wackligen Sitz.
Hier stellt sich die Preisfrage, denn meist sind es "teurere" Helme, die in zwei oder gar drei Größen erhältlich sind. "Wählen Sie eine Größe, in der Ihr Kopfumfang etwa in der Mitte der Spanne liegt", rät Sebastian Maag von Specialized. "Das garantiert einen satten Sitz, und im Winter passt noch eine Mütze unter den Helm."
Wichtig vor dem Kauf: Der Helm muss zur individuellen Kopfform passen. Das MB-Testteam überprüfte deshalb, ob sich die Modelle eher an runde oder längliche Köpfe anpassen lassen. Gab es Tendenzen, finden Sie einen entsprechenden Hinweis in den Einzelbewertungen.
Eng verknüpft mit der Passform ist die exakte Anpassung an den Kopf: Drehrad oder Schiebeverschluss, variable Aufhängung des Verschlussrings, Führung der Gurte – mit 20 Prozent der Endnote gewichtete MB Kriterien hinsichtlich Bedienung und Einstellmöglichkeiten unter dem Punkt "Anpassung". Erneut bestätigte sich, dass eine Fixierung mittels Drehrad den Schiebeverschlüssen vorzuziehen ist. Beide verteilen den Druck gut am Kopf, Räder sind jedoch einhändig besser zu bedienen - ein Vorteil, will man etwa bergauf den Helm leicht lockern.
Nur fünf Kandidaten verzichten auf diesen Vorteil. Vielfältige Anpassungen des Verschlussrings bieten Alpina, Bell, Giro, Rudy Project, Scott, Specialized und Uvex. In zwei bis sieben verschiedene Positionen lässt sich der Verschlussring bei diesen Herstellern bringen – Details siehe Einzeltests.
Hinsichtlich der Gurte teilt sich das Feld in zwei Lager: Helme mit locker eingehängten Straps – fummelig beim Aufsetzen des Helms – und solche, die über Aufhängungen geführt werden. "Eine Patentfrage", so Martin Wehren, Produktmanager bei Scott, deren Helme über keine Fixierung verfügen. Ebenfalls frei schwebend kommen je beide Modelle von Limar und Met sowie der Giro Athlon daher, die beste Gurtführung zeigt der Catlike Vacuum.
In puncto Gewicht lassen sich beide Preisklassen zunächst kaum abgrenzen. Die Gründe dafür: In der höheren Preisklasse finden sich federleichte Spezialisten wie der 194 Gramm leichte Limar genauso wie naturgemäß schwerere All-Mountain-Helme wie der Specialized Vice mit 352 Gramm. Der leichteste Helm bei den Günstigen wiegt hingegen 257 Gramm (Scott Groove 2).
Keine preisabhängigen Unterschiede fand MB bei Polstern und deren Anordnung, wohl aber Besonderheiten: So verspielt etwa Limar beim Pro 104 MTB viel Komfort, um sein Rekordgewicht zu erreichen. Rudy Project setzt auf eine äußerst bequeme, mützenähnliche Lösung – zulasten der Belüftung. Als wahrer "Kopfschmeichler" entpuppte sich Lazers Magma XC.
So aufwendig die Labortests zur Belüftung, so simpel die wertvolle Erkenntnis: Ein gutes Klima ist keine Frage des Preises! Nur bei fünf der zwölf Hersteller liegt das teure Modell vor dem günstigen. Selbst das Schlusslicht im Labor, der Rudy Project Sterling, bietet noch "befriedigende" Messwerte mit etwas über 2°C Erwärmung.
Weitere fünf Modelle schnitten "gut" ab, sechs Mal schrieb MB ein "sehr gut", zwölf Mal "überragende" Messwerte ins Protokoll. Dem Catlike Vacuum gelingt dabei ein sensationelles Kunststück: Seine Belüftungskanäle schaffen als einzige den perfekten Luftstrom und halten den Kopf während der Messperiode auf Umgebungstemperatur. Gegen Ende der Messungen kühlt er sogar um 0,3 Grad unter diese 23 Grad ab!
Bestätigung für viele Zweifler: Drei der fünf Helme, die "nur" mit "gut" abschnitten, verfügen über ein Fliegengitter. Eine Beeinträchtigung des Klimas ist also nicht auszuschließen. Biker, die bereits Erfahrungen mit Insekten im Helm gemacht haben, nehmen das aber eventuell in Kauf.
Im Gegenteil: 17 der 24 Helme im MB-Test lassen Erwärmungen von maximal einem Grad zu – Top-Werte! Dabei ist gute Belüftung keine Preisfrage. Jedoch sind Helme der höheren Preisklasse oft besser anzupassen.
Zwischen 80 und 100 Euro ist der Allronder Met Terra zugleich Testsieger und Kauftipp. Von 120 bis 150 Euro hat der neue Bell Sequence die Nase vorn, Scotts Fuga holt den Kauftipp.
Für Racer:
Für Tourenfahrer:
Für All-Mountain-Piloten:
Belüftung: Viele, möglichst lang gezogene Belüftungskanäle (Foto: Catlike Vaccuum) gewährleisten eine perfekte Verteilung der Luft über den gesamten Kopf.
Aber: In zu große Öffnungen können unter Umständen Äste oder Steine eindringen.
Visier: Sinnvoll als Blendschutz, sollte es dennoch leicht demontierbar sein. Eine clevere Lösung zeigt der Scott Fuga, an dem Magnete das Visier fixieren. Vorteil: Im Falle eines Sturzes löst sich diese Verbindung, der Biker kann sich nirgendwo einhaken.
Polsterung: Die Pads im Helminnern sind für den Tragekomfort unerlässlich, aus hygienischen Gründen sollten sie heraus- und waschbar sein.
Innovativ: Der Rudy Project Sterling ist mit einem komfortablen, aber warmen Netz versehen.
Verarbeitung: Unsauber aufgebrachte Dekorschalen, Grate am Styropor: Solche Mängel darf kein Helm gleich welcher Preisklasse aufweisen.
Perfekte Verarbeitung zeigen die Alpina-Helme im Test – ein leuchtendes Vorbild etwa für Mitbewerber Limar.
Bedienung: Wer etwa bergauf den Helm etwas lockern will, sollte dies einhändig erledigen können. Fixierungen mittels Drehrad sind deshalb Schiebeverschlüssen vorzuziehen. Das Rad muss dazu ausreichend groß und gut erreichbar sein.
Gurtsystem: Verdrehsicher eingehängt, möglichst mit gepolstertem Verschluss unter dem Kinn – das macht ein gutes und sicheres Gurtsystem aus. Feine Lösung von Met: Am Kaos bestehen die Straps aus perforiertem und somit gut belüftetem Material.
Polster:
Ohne komfortable Polsterung säße die Schaumstoffschale direkt auf dem Kopf. Die Pads sollten herausnehm- und waschbar sowie als "Ersatzteil" erhältlich sein.
Gurtsystem:
Die seitlichen Clips zur Höhenanpassung müssen fest verschließbar sein, das Kinnband sitzt komfortabler, wenn gepolstert.
Verschluss und Verschlussring:
Diese Kombination sichert den festen Sitz am Kopf, der Ring ist oft höheneinstellbar.
Drehräder sind einhändig, Ratschen oft nur mit zwei Händen bedienbar.
Oberschale (links), Unterschale (rechts) und Styroporkugeln (unten) werden unter Hochdruck miteinander verbacken.
Die Styroporkugeln schäumen bei Hitze auf und bilden so die dämpfende Schutzschicht des Helmes. Die glatte Oberschale lässt den Helm bei stumpfen Aufschlägen besser gleiten.
Monocoque-Gitter:
Teure Top-Helme haben oftmals eine zusätzliche Zwischenschicht, sozusagen ein Skelett. Die Dämpfungseigenschaften können so erhöht werden.
Visier:
Das MTB-typische Detail dient vor allem als Blendschutz bei von weit oben einstrahlender Sonne.
Neben umfangreichen Praxistests nutzte MB wie beim Helmtest 2009 die standardisierbaren Bedingungen der Klimakammer von Membranspezialist W. L. Gore. Bei konstant 23 Grad Umgebungstemperatur sowie einer relativen Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent kamen die Tester gehörig ins Schwitzen.
Jeder Helm wurde 15 Minuten lang mit einer Belastung von 200 Watt gefahren, dabei erzeugten Ventilatoren einen Gegenwind von 15 km/h. Während der Testfahrten waren die Tester mit einer sensiblen Messapparatur verkabelt: Messtechniker Christoph Russ (www.cruss-netconsult.com) ermittelte mithilfe einer mit 24 Sensoren ausgestatteten Kopfhaube pro Helm 1350 Datensätze, aus denen sich die Verläufe von Temperatur sowie relativer und absoluter Feuchtigkeit ablesen ließen.
Ein Novum: Die absolute Feuchte, die unabhängig von der Temperatur die Schwitzrate unterm Helm darstellt, wurde bislang in keinem Test erfasst. Parallel dazu erzeugte eine Analyse-Software einen aus ebenfalls 1350 Bildern pro Helm bestehenden Film, der die drei messrelevanten Parameter im zeitlichen Verlauf darstellt.
Die obige Abbildung zeigt beispielhaft für das Modell Rudy Project Sterling die Werte für die absolute Feuchtigkeit im Abstand von je fünf Minuten und erlaubt Rückschlüsse auf das Schwitzverhalten des Fahrers (blau=trocken, rot/weiß= nass). Die Abbildung ganz oben zeigt die Temperaturbilder (blau=kühl, rot= warm) am Ende der Aufzeichnung nach 15 Minuten für den besten Helm im Test (Catlike Vacuum) sowie das Schlusslicht im Labor (Rudy Project Sterling).
Auf Basis dieser insgesamt 64.800 Datenpunkte erstellte MB ein Ranking aller 24 Helme. Von den vier direkt im Helminnern platzierten Sensoren rechnete MB zum Erstellen der Rangfolge deutlich erkennbare "Ausreißer" aus den Datensätzen heraus. Ausreißer waren solche Sensoren, die etwa direkt unter einem Helmsteg oder dem den Kopf umlaufenden Verschlussring lagen und somit nicht vergleichbare Werte generierten.
EU-Regelung: Seit 1997 können sich Helmkäufer auf die EN 1078 verlassen. Will ein Hersteller in Europa einen Bike-Helm auf den Markt bringen, muss er zunächst so genannte Baumuster für Sicherheitstests zur Verfügung stellen: Rutscht der Helm etwa beim Sturz vom Kopf, fällt er durch den "Abstreiftest".
Für anschließende Stabilitätsprüfungen werden die Baumuster extremen Bedingungen ausgesetzt: bei –20 °C Kälte, 50 °C Hitze und Dauerregen muss jedes der Muster durch je zwei Schlagtests.
Der mittels Prüfkopf gemessene Grenzwert darf laut Norm eine Belastung von 250 g (g=9,81m/s²) bei keinem der sechs Schläge überschreiten.
Getestet wird von Experten zertifizierter Prüfinstitute wie dem deutschen TÜV. Mit Messvorrichtungen bestückt, fallen die Helme nacheinander auf zwei unterschiedlich geformte Ambosse, die einen flachen oder kantigen (z. B. Bordstein) Aufschlag simulieren. Erfüllen beide Schlagtests die Norm, erhält das Modell das CE-Siegel.
In den letzten Jahren gab es Überlegun-gen auf EU-Ebene, die Testkriterien für Helme zu überarbeiten. Für MountainBIKE nachvollziehbar, schließlich ähneln aktuelle Modelle kaum ihren Vorgängern von 1997. So sind etwa die unterschiedlichen Anforderungen von Straßenfahrern und Mountainbikern an ihren Helm ein Grund, die Norm neu zu definieren. Laut TÜV Rheinland sind jedoch in nächster Zeit keine Überarbeitungen zu erwarten.