Mit dem Rad "auf große Tour gehen" – für viele zu Recht der Inbegriff des Bikens. MB zeigt, welche Fullys dafür wahrhaft treue Weggefährten sind – auch für zigtausende Kilometer im Sattel.
Mit dem Rad "auf große Tour gehen" – für viele zu Recht der Inbegriff des Bikens. MB zeigt, welche Fullys dafür wahrhaft treue Weggefährten sind – auch für zigtausende Kilometer im Sattel.
Der Berg ruft! Schickt frühmorgens erste, zuckende Sonnenstrahlen über seine Wipfel, kitzelt den Biker in den Sattel. Reckt und streckt sich zu allen Seiten, lockt mit schier endlosen Schotterpisten, mit geschwungenen Asphaltbändern, mit verborgenen Trails, will vom Biker bezwungen werden. Empfängt seinen Bezwinger nach dessen schweißtreibendem Ritt mit wuchtigem Panorama, mit urigen Hütten, überschüttet ihn mit Gipfelglück!
Ganz klar, es gibt kaum Schöneres, als mit dem Mountain(!)bike Berge zu bezwingen! Sei‘s in den mächtigen Alpen, sei‘s im heimischen Mittelgebirge. Auch wenn sich die Bikeszene mit ihren Spielarten vom rasanten CC-Race bis zum waghalsigen Downhill vielfältig wie nie präsentiert, die klassische "Bergtour" wird immer ihr Mittelpunkt bleiben. Kein Wunder, dass Tourenbikes bei den MB-Lesern stets die beliebteste Kategorie darstellen!
18 Tourenfullys um 120 mm Federweg traten zum MB-Megatest an, gewillt, zukünftige Besitzer in höchste Gipfelregionen zu führen. Auch die Preisspanne von 1800 bis 2300 Euro wählte die Redaktion nach Leserwunsch – denn in dieser (Kauf-)Klasse rollen die meisten Fullys über die Ladentheke. Doch was zeichnet Touren-Fullys wirklich aus? Kann man nicht mit jedem Rad "einfach fahren"? Schon. Aber nicht so sorgenfrei, so effizient, so sicher wie mit den Tourern des Jahrgangs 2008!
Womit die drei Schlagworte genannt sind. Sorglosigkeit bedeutet, dass kein Nervdetail wie eine durch die Gänge irrende Schaltung die Tour zur Tortur macht. Effizienz meint die Antriebsneutralität moderner Fullys, durch die Uphills zum Naturgenuss statt zur Folter werden. Und schließlich müssen die Bikes ihren Piloten sicher und kommod über flowige Trails und knifflige Downhills ins Tal bringen. Unverkennbar: Tourenfullys sind mehr als nur Arbeitsgeräte für Konditionsbolzer. Sie sind wie auch ihre großen All-Mountain-Brüder prächtige Allrounder, die Feierabend-Biker genauso ansprechen wie Marathonisti oder Alpencrosser. Wahre Weggefährten eben!
Noch mehr aktuelle Bikes im Test
So sind die Versender-Bikes von Canyon und Red Bull feudabel arrangiert: beste Federelemente, mächtige Bremsen, erlesene Anbauteile und teuerste Laufräder – hier passt alles. Logo, denn durch die eingesparte Händlermarge kalkuliert der Internetshop aggressiver. Speziell Edelfirmen wie Rocky Mountain, Scott oder die Schweizer Bikeschmiede MTB Cycletech zockeln in Sachen Ausstattung diesen Nobelfuhren hinterher. Und sparen oft an der falschen Stelle.
LX- statt XT-Umwerfer? Geschenkt. Rotierende Teile wie Naben oder Kurbeln aus Shimanos Einsteigergruppe Deore? Gerade noch akzeptabel. Aber Bremsen auf oder wie beim Cycletech gar unter diesem Niveau, teils wie bei Fuji, Rocky und Wheeler mit kleinen 160er-Scheiben vorne, sind nicht nur für schwere oder schwer bepackte Alpencrosser ein Sicherheitsrisiko! Dabei zeigen die anderen Hersteller, wie auch ein Fully aus dem Bikeshop (fast) perfekt ausgestattet ist.
Fast, weil es oft vermeidbare(!) Dinge sind, die zur Perfektion und somit zur sorgenfreien Tour fehlen. So vermisste die MB-Crew bei über der Hälfte der Testbikes rutschfeste Schraubgriffe sowie einen Lack und Gehörgang schonenden Kettenstrebenschutz. Immerhin: Nur noch Fuji sorgte mit fehlendem Sattelschnellspanner für vor jedem Downhill fluchende Testfahrer.
Den ein oder anderen Fluch stieß auch MB-Mechaniker und -Testfahrer Chris Pauls im Laufe der Testwoche im Vinschgau aus. Fast alle verbauten Reifen quittierten eine zu unsaubere Linienwahl mit zahlreichen Durchschlägen – speziell den Rennpneus wie Schwalbes flottem Racing Ralph ging auf verblockten Trails schnell die sprichwörtliche Luft aus. Selbiges widerfuhr auch dem Rock-Shox-Monarch-Dämpfer im Bulls.
Ein Lager Marke "völlig losgelöst" am Rocky, ein verbogener, weil unterdimensionierter Dämpferbefestigungsbolzen am Trenga und eine massiv eingedrückte Felge am Centurion komplettierten das MB-Lazarett. Viel Arbeit für Chris Pauls: "Die Bikes werden bei den Testfahrten über Gebühr strapaziert, aber solche Defekte dürfen nach einer Woche einfach nicht sein!"
Noch mehr aktuelle Bikes im Test
"In der Ruhe liegt die Kraft" – das Motto der Couchpotatoes gilt gemeinhin nicht für Biker, wohl aber für die Hinterbau-Kinematiken. Wippen und damit Kraftverlust beim Pedalieren? Wenn überhaupt, dann marginal. Lediglich im Wiegetritt erwidern einige Testbikes kräftige Antritte mit deutlichem Pumpen und machen so den Griff zum Plattformhebel notwendig.
Auch störenden Pedalrückschlag haben speziell die Viergelenker (15 der 18 Testräder) längst eliminiert. Vorbei die Zeiten, als Hardtail-Jünger ihr wohlverdientes Hüttengetränk eine Viertelstunde vor der schunkelnden Fully-Fraktion schlürften!
Ein Problem haben allerdings nicht alle Ingenieure ausgemerzt: Soft abgestimmt, reagieren einige Hinterbauten auf starken Kettenzug mit so genanntem Anfahrtsnicken (Squat-Effekt) und ziehen sich in den Federweg. Folge: Der Fahrer sackt deutlich unter den eingestellten Sag, gerät so bei Kletterpartien in eine ungünstige, weil zu hecklastige Position.
Abhilfe schafft ein straffes Setup mit wenig Sag oder die aktivierte Plattform. Ersteres geht zu Lasten des Ansprechverhaltens, Letzteres konterkariert, zumindest ohne Lenker-Remote à la Scott, die "Keep it simple"-Philosophie eines Tourenbikes.
Noch mehr aktuelle Bikes im Test
Völlig zu Recht protegierte MountainBIKE in den vergangenen Jahren den Siegeszug der Variogabeln, schließlich erweitern schnell bedienbare Systeme wie das Fox Talas den Einsatzbereich von All-Mountain- und Enduro-Bikes enorm. Doch im Zusammenspiel mit einem 120er-Hinterbau zeigen speziell Specialized, Ghost und Giant, dass ein akkurat ausbalanciertes Fully mit harmonisch abgestimmten Federwegen auch ohne Variogabel in jeder (Touren-)Lage perfekt funktioniert.
Diese Fahrwerkskünstler liegen auf dem Trail oder im Downhill genauso satt wir ihre Kontrahenten mit 140 mm Gabelhub, generieren vollen Vortrieb und klettern behände wie ein 100-mm-Racer. Alles ganz ohne Fummelei am Gabelholm. Chapeau! Für MB steht daher fest: Die aktuelle 120er-Klasse ist der Idealtyp des Tourenbikes 2008.
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