Welcher Alleskönner kann überzeugen?
Sechs Trailbikes ab 130mm Hub im Test (Modelljahr 2020)

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Wir haben Alleskönner ab 130mm-Hub auf dem Trail getestet. Welches Bike kann überzeugen?

Sechs Trailbikes ab 130mm Hub im Test (Modelljahr 2020)
Foto: Stefan Eigner

Trailbikes/Link zum Testbericht

Preis

Gewicht

Testergebnis

Cannondale Habit Carbon 3

3799 Euro

14,0 kg

Sehr gut

Canyon Neuron CF 9.0

3299 Euro

12,8 kg

Sehr gut (Testsieger)

Focus Jam 6.8 Seven

2699 Euro

14,3 kg

Gut

Giant Trance 29 1

2999 Euro

13,4 kg

Sehr gut

Scott Genius 940

3599 Euro

14,4 kg

Sehr gut

Stevens Jura

4399 Euro

12,6 kg

Gut

Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Kulturelle Unterschiede zwischen Ländern werden besonders gut beim Essen sichtbar: Wo der Deutsche auf dem Grill gerne seine Bratwurst wendet, legt der US-Amerikaner ein saftiges Burger-Patty auf den Rost. Sie fragen sich, was das nun mit Mountainbikes zu tun hat? Auch im Bikesport ticken die verschiedenen Seiten des "Teiches" verschieden. Besonders deutlich wird die Differenz in der von uns diesmal getesteten Kategorie. In Deutschland hat sich für Bikes mit 120– 130 mm Federweg und viel Vortriebswillen der Begriff "Tourenfully" eingebürgert – effiziente, aber komfortable und sorglose Kilometerfresser, denen kein Weg zu weit ist, keine Hütte zu hoch liegt. Nehmen wir als Paradebeispiel eines der populärsten Bikes der Republik: das Canyon Neuron. Hier trifft ein leichter Rahmen mit sportlich abgestimmten 130 mm Federweg auf flinke Reifen. Der Lenkwinkel steht moderat, fast steil bei 67,5°, die Sitzposition ist durch das lange Oberrohr sportiv.

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Sechs Trailbikes im Test
Spaß auf den Trails - aus MB Heft Juni 2020
Leichter 120-mm-Flitzer oder properes 150-mm-All- Mountain – welches Fully ist der perfekte Allrounder für Trail, Tour und Alpencross?
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Stefan Eigner
Vollspaß voraus! Auf dem Trail brillieren die Testbikes dank feiner Fahrwerke und moderner Geometrien

Burger oder Bratwurst?

So liebt es der Bergradler hierzulande, der US-Biker rümpft bei diesem vermeintlichen Ideal eines 130-mm-Fullys eher die Nase. In den Staaten ticken die Trail-Uhren anders: Hier steht der Fun im Vordergrund, aber weniger im Uphill (der ja auch Spaß machen kann!), mehr auf der Schussfahrt gen Tal. Bei- spielhaft zeigt dies das Cannondale Habit mit seinem sehr flachen 66°-Lenkwinkel, der ebenso wie das äußerst schluckfreudige, dafür weniger effiziente 140/130-mm-Fahrwerk viel Laufruhe selbst im Groben verspricht. Hinzu kommen kreuzstabile und breite Laufräder samt stark profilierten Reifen aus dem Enduro-Regal. Abgerundet wird das Ganze von einem Stummelvorbau samt breitem 800-mm-Lenker sowie einer massiven Bremsanlage. Die Kurzform: eine (schwere) Spaßgranate für Trail-Abenteuer.

"Rasch bergauf, spaßig und potent in der Abfahrt: Moderne Trailbikes erfüllen nahezu alle Wünsche, die Biker haben." Lukas Hoffmann, Redakteur

Generell aber überließen wir es den Herstellern selbst, uns das Bike aus ihrem Portfolio zu schicken, was ihrer Meinung nach am besten in die Trailbike-Kategorie passt – in unserer Vorstellung: ein Allrounder mit Pfiff! Wie unterschiedlich die Industrie dies selbst sieht, beweisen Scott und Stevens, die mit ihren Bikes noch weiter auseinanderliegen als die angesprochenen Fullys von Canyon und Cannondale. So bietet das Scott Genius für die Kategorie monströse 150 mm Federweg, kommt mit fetten 2,6"-Reifen und ultraflachem Lenkwinkel von 65°. Bergab ist das Genius eine Macht, fährt speziell auf Highspeed-Passagen der Konkurrenz davon. Das Stevens Jura mischt das Testfeld hingegen mit seiner vortriebsorientierten Geometrie auf und fährt mit straffem 120-mm-Fahrwerk und schmalen, leichten 2,25"-Reifen dem Rest am Berg davon. Und: Mit nur 12,6 Kilo belastet das Jura die Waage am wenigsten.

Stefan Eigner
Auf planen Wegen mussten die Fullys ihre Allroundqualitäten unter Beweis stellen: Wie steht es um Vortrieb, lässt sich das Rad effizient pedalieren?

Nur weniger Leichtgewichte

Apropos Gewicht: Mit 13,6 Kilo im Durchschnitt fallen die Bikes gemessen an ihrem Federweg eher massig aus. Cannondale, Focus Jam und Scott wiegen sogar 14 Kilo und mehr – beim kurzen Ritt über die Haus-Trails mag das wenig stören, auf langen oder gar alpinen Touren kostet so viel Masse aber reichlich Körner. Neben dem erwähnten Stevens unterbietet nur das Canyon die 13-Kilo-Marke, das Giant Trance ist mit 13,4 Kilo gerade noch "leicht genug".

Durch die Corona-Krise war es für uns nicht ganz so einfach wie sonst, ein üppig bestücktes, im Preis homogenes Testfeld zusammenzubekommen. So reicht die Preis-Range von erfreulich attraktiven 2699 Euro für das Focus bis zu teuren 4399 Euro fürs Stevens. Wie so oft hat Canyon als Direktvertreiber in Sachen Preis/Leistung die Nase vorn: Gemessen am Kaufpreis von 3299 Euro bekommt man hier ein hochwertig ausgestattetes Bike mit Voll-Carbon-Rahmen, tadelloser Ausstattung und pfiffigen Detaillösungen. Auch Stevens und Cannondale setzen auf leichte Kohlefaserrahmen. Focus, Giant und Scott verwenden preiswertere, schwerere Aluminium-Rahmen.

Stefan Eigner
Drop it like it’s hot! Bikes wie das Cannondale erinnern im Fahrverhalten schon fast an vollhubige Enduros. Dementsprechend flott kann man die aktuelle Generation Trailbikes durch technische Sektionen prügeln, ohne dabei Kopf und Kragen zu riskieren.

Fast alle Bikes haben gemeinsam, dass sie auf 29"-Laufrädern rollen. Spannend: Die ersten als Trailbikes deklarierten MTBs kamen vor einigen Jahren nahezu ausschließlich als 27,5er daher – was ja gut zum Spiel-und-Spaß-Charakter passt(e). Heuer schickte einzig Focus noch ein 27,5"-Bike in den Test. Das zeigt sich bedingt durch die kompaktere Laufradgröße im Downhill extrem leichtfüßig, verspielt – dafür aber bei hohen Geschwindigkeiten auch nervöser. Inzwischen ist also klar, dass sich nun auch in diesem Segment 29" final durchgesetzt hat, 27,5" den kleinen Rahmengrößen vorbehalten bleibt. Uns schmeckt das! In harschem Gelände funktionieren 29"-Räder einfach grandios, überrollen Hindernisse souverän, bieten angenehmen Komfort und sorgen für viel Fahrstabilität auch bei hohen Geschwindigkeiten. Dank moderner Geometrien fahren sich die 29"-Bikes zudem längst nicht wie "Dickschiffe", sondern lassen sich allesamt agil bewegen.

Modern, aber nicht extrem

Generell sind die Testbikes zeitgemäß geschnitten, also mit eher flacher Front und kurzem Heck. Lediglich das Stevens fällt mit seinem steilen 68,5°- Lenkwinkel und den langen Kettenstreben sprichwörtlich aus dem Rahmen. Wirklich extreme Geos finden sich in diesem Test hingegen nicht. Kein Bike weist zum Beispiel hohe Reach-Werte (= Reichweite im Stehen) auf, wie sie aktuell stark angesagt sind. Fast alle tummeln sich um moderate 435 mm in Größe Medium. Einzig das Giant ist einen Tick länger. In Summe fahren sich die Bikes so alle relativ handzahm, sind auch für Einsteiger und weniger Versierte sehr gut zu beherrschen – trotz ihrer generell spürbaren Downhill-Optimierung.

Denn auch bei den Anbauteilen legen die Hersteller ihr Augenmerk aufs Bergab, die Anbauteile sind zumeist robust und stimmig gewählt, fallen aber selten besonders leicht aus. Damit zeigen sich die Testbikes unisono als ziemlich sorglos. Zusammen mit den zumeist verbauten, im positiven Sinne "simplen" 1 x 12-Schaltungen ist Langlebigkeit und Wartungsarmut zu erwarten. Apropos: Waren in den letzten Jahren Bikes mit Srams Eagle-Antrieb in unseren Tests omnipräsent, zeigt dieser Test ein anderes Bild. Nur Cannondale verbaut die Schaltung mit dem Adler. Die anderen fünf Räder kommen mit Shimano-Drivetrain zum Kunden, überwiegend sind Parts aus der neuen, prächtig gelungenen XT-Gruppe verbaut. Nur hier und da "mogeln" sich Teile der günstigeren Shimano- SLX-Gruppe unter. Erneut erstaunt das Stevens, da es als eines der ganz wenigen aktuellen Bikes noch einen Umwerfer aufnehmen kann. Den verbaut Stevens dann auch gleich samt 2-fach-Kurbel: Deren 36/26er-Kettenblätter liefern zusammen mit der 10–45-Kassette eine gigantische Bandbreite.

Auch in Sachen Bremse gibt es zumeist solide Kost von Shimano. Wobei die Unterschiede zwischen den Testbikes wieder groß sind. So verzögert am Stevens "nur" die XT-Zweikolben-Bremse mit 180er-Scheiben, am Focus sitzt (vorne) die massivere XT- Vierkolben-Variante, und das sogar mit 203-mm-Disc. Auch die "billige" Shimano-MT520-Bremse am Scott verzögert zuverlässig, lediglich die Sram Guide R am Cannondale fiel uns als zu schwach auf.

Stefan Eigner
„Das Genius hat mich persönlich überzeugt – aber mehr bergab als bergauf.“ Simon Gessler, Testfahrer

Die Mischung macht’s

Nicht nur beim Preis ist die Spreizung in diesem Testfeld hoch. Grundsätzlich verdienen sich alle Bikes durchaus das Prä- dikat Trailbike, sie fahren sich aber doch sehr unterschiedlich. So wird das eher klassisch-sportliche Stevens mehr den reinen Tourenfahrer, weniger den Trail-Akrobaten ansprechen. Dafür taugt es aber auch zum Marathon. Die eher schweren Bikes von Cannondale, Focus und Scott sind hingegen prädestiniert für (kürzere) Ausfahrten im knackigen Gelände – wobei das Jam durch seine 27,5"-Laufräder ein deutlich wuseligeres, dafür weniger sicheres Handling zeigt. Unter dem Strich die klar besten Allrounder stellen Canyon und Giant. Beide Bikes machen bergab richtig Spaß, sind sich für lange Auffahrten aber nicht zu schade. Der Testsieg geht so ans Neuron, unseren Kauftipp fährt das Trance ein.

Punkte und Benotung

Alle unsere Biketests bauen auf einem durchdachten Punkteschema auf, das alle wichtigen Fahreigenschaften und Kategorien umfasst. Knapp ein Drittel der Gesamtnote steuern Laborerhebungen wie Gewicht, Verarbeitung und Ausstattung bei. Hauptsächlich ergibt sich die Note aber aus Kategorien wie dem Handling, der Vortriebseffizienz, der Bergab-Performance und dem Fahrwerk. Um einen Eindruck von den Fahreigenschaften zu gewinnen, fahren die Tester alle Bikes auf einer selektiven Teststrecke und notieren nach jeder Runde ihre Bewertungen.

Die Gewichtung der Kategorie passen wir an die Bike-Gattung an. Die Trailbikes im Test müssen zum Beispiel besonders gute Allroundeigenschaften aufweisen, also fast überall gleich punkten. Bei maximal 1000 Punkten ist das Bike mit den meisten Zählern logischerweise Testsieger.

Das Spinnennetz

... zeigt, wo die Stärken und Schwächen des Bikes in Relation zum Testumfeld liegen. Je größer der Ausschlag in einer der acht Kate- gorien, desto prägender der jeweilige Charakterzug. Ein Allrounder weist rundum eine große Fläche, ein Spezialist eine verschobene Grafik auf. Die jeweiligen Eigenschaften wie Up- oder Downhill sind meist gegensätzlich angeordnet. So sehen Sie auf einen Blick, welche Stärken das Bike besitzt. Die Grafik unten rechts zeigt ein eher abfahrtslastiges Bike mit potentem Fahrwerk, weniger wuseligem Handling und zähem Antritt.

Uphill/Vortrieb: Passt die Traktion? Steigt die Front? Ist die Sitzposition im steilen Anstieg optimal? Ein niedriges Gewicht steigert den Ausschlag im Profil ebenso wie leichte Laufräder und rollfreudige Reifenprofile.

Downhill: Ein sicheres Handling ist elementar, damit ein Bike bergab gut performt. Die Abfahrtspotenz ist aber auch vom Fahrwerk abhängig. Arbeitet es feinfühlig und schluckfreudig, kommt das Bike souveräner durch ruppiges Gelände. Parts wie das Cockpit, die Reifen oder die Bremsen beeinflussen die Abfahrtsleistung ebenfalls.

Ausstattung: Sie umfasst nicht die Federelemente, aber die Bremsen, Schaltung, den Antrieb, die Laufräder, die Reifen sowie Anbauteile wie Sattel, Griffe, Cockpit. Aber wir bewerten auch gelungene und innovative Detaillösungen.

Rahmen/Fahrwerk: Ein top gemachter Rahmen ist die Basis für das perfekte Bike. Wir bewerten den Rahmen in Kombination mit dem Fahrwerk und den Federelementen als Ganzes.

Laufruhe: Hohe Spurtreue bringt Fahrsicherheit und Präzision speziell im Downhill. Sie kann aber ins Träge kippen, wenn der Profiler bei der Wendigkeit einen geringen Ausschlag zeigt.

Wendigkeit: Je wendiger ein Bike, desto agiler, spielerischer lässt es sich bewegen. Es lässt aber auf Nervosität in ruppigem Gelände schließen, wenn der Profiler nur in diese Richtung ausschlägt und bei der Laufruhe kaum.

Robustheit: Liegt der Fokus bei Rahmen und Parts weniger auf Leichtbau, sondern auf Solidität, steigt der Ausschlag der Grafik. Der Gegenpart ist Leichtbau.

Geringes Gewicht: Ein niedriges Gesamtgewicht steht in der Regel für ein spritziges, leichtfüßiges, in der Ebene wie im Uphill ausgezeichnetes Bike.

Alle Bikes im detaillierten Test:

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