Sie sind die Generalisten unter den vollgefederten MTBs – und doch so verschiedenartig. MountainBIKE suchte unter 17 All-Mountain-Fullys den perfekten Allrounder.
Sie sind die Generalisten unter den vollgefederten MTBs – und doch so verschiedenartig. MountainBIKE suchte unter 17 All-Mountain-Fullys den perfekten Allrounder.
All-Mountain-Fully, , das; (vollgefedertes Gebirgsfahrrad, das den Anspruch besitzt, in nahezu jedem Gelände zu bestehen. Siehe auch: eierlegende Wollmilchsau). Ja, so ähnlich könnte ein Wörterbuch-Eintrag aussehen, der die bei den MB-Lesern inzwischen beliebteste Bike-Kategorie beschreibt. Doch lässt sich diese so bekannt vielseitige Gattung wirklich definieren? Oder platt gefragt: Was ist denn nun ein „AM“ – ein Tourer mit Reserven? Oder ein Enduro light?
Und natürlich: Welches ist 2010 das beste der 3000-Euro-Klasse?
Fragen, die dieser MB-Supertest mit 17(!) Bikes – 13 aus dem Fachhandel, vier vom Versender – klären soll. Dabei sind Dauerbrenner wie Canyon Nerve, Cube Stereo oder Ghost AMR+, aber auch der mit Spannung erwartete Quereinsteiger Specialized Stumpjumper – bis zu dieser Saison noch Paradebeispiel der 120-mm-Tourenfullys und mit jetzt 140 mm ein erster Fingerzeig, wie vielschichtig diese Kategorie nun ist.
Schauplatz der Trailjagd war dabei der Luberon in der französischen Provence – ein Bike-Revier der Extraklasse und mit steilen, schroffen Uphills sowie mal flowigen, mal verblockten Downhills als Testumgebung mit einem Wort perfekt.
Per se eint der Federweg die spaßbereiten Fullys: 140 bis 150 mm sind der aktuelle Standard – mehr als reichlich für die meisten Trails, die auch fortgeschrittene Biker alltäglich unter die Stollen bekommen.
Doch damit ist fast Schluss bei den Gemeinsamkeiten: Der reine Federweg, das lehrt dieser Test ebenso wie die All-Mountain-Vergleiche der Vorjahre, sagt nur wenig aus. Vielmehr ist es die Kombination verschiedener Eigenschaften, die diese Fullys wirklich klassifizieren und die Bikern somit den Weg zumTraumbike weisen.
Die wesentlichen, charakterprägenden Eigenschaften sind: die Geometrie, die Auslegung des Fahrwerks (straff oder komfortabel?), das Gewicht und die Ausstattung.
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So reicht der das Handling stark beeinflussende Lenkwinkel der Testbikes von CC-mäßigen, steilen 69,5° (Cannondale) bis hin zu flachen 67° (Giant) und gar 66° beim „Sonderfall“ Bionicon – in Bezug auf Laufruhe und Wendigkeit können das Welten sein.
Dabei haben beide Spielarten absolut ihre Berechtigung, zumal wenn der generelle Charakter des Rades dem Rechnung trägt. Das „AM-typische“ Fahrgefühl mit einer Spielfreude wie Sicherheit garantierenden Mixtur aus Agilität und Spurtreue kam indes eher bei moderat-flachen Lenkwinkeln um 68° auf.
Doch nicht nur zum Anheizen der Bergab-Potenz, auch für Kletterpartien ist eine ausbalancierte Geometrie mit neutraler Gewichtsverteilung wichtig. Schließlich lautet ein Anspruch der All-Mountaineers, jeden Meter Trailfun im eigenen Schweiße zu erstrampeln. Ein immer beliebter werdender „Geo-Kniff“ ist dabei ein steiler Sitzwinkel von 74° (etwa BMC, Specialized) und mehr (Kona), der den Körperschwerpunkt auch bei Stichen jenseits der 20 Prozent nach vorn über das Tretlager rückt.
Mit dem Effekt, dass die Beinkraft von oben aufs Pedal kommt und das Vorderrad stärker belastet wird. Zudem stecken in zehn Bikes Variogabeln mit Niveauregulierung (Talas, U-Turn), die eine gerasterte oder stufenlose Absenkung der Front ermöglicht. Durch die so steiler werdende Geometrie (Faustregel: 2 cm = 1°) klebt der Vorderreifen förmlich am Trail, das Handling wird von vielen Bikern dann aber auch als nervös oder gar kipplig empfunden. Zudem entsteht vielfach der subjektive Eindruck, „in den Berg zu treten“.
Bionicon und Kona gehen eigene Vario-Wege: So lässt sich beim Edison das gesamte Fahrwerksniveau via Knopfdruck hydraulisch ändern. Und das stufenlos zwischen einer sehr flachen Downhill- und einer steilen Uphill-Position. Beim Cadabra sorgt der „Magic-Link“ zwischen Kettenstrebe und Dämpfer für eine dynamische Geo-Anpassung: Unter Kettenzug zieht sich die Balance nach vorne/oben, erfolgen Schläge vom Untergrund, flacht die Geometrie ab.
Beide Ansätze faszinieren durch Idee und reibungslose Funktion. Wirklich besser als die meisten Testbikes up- und downhillen die Vario-Wunderwerke aber nicht. Zu ausgewogen sind die traditionellen Generalisten geworden!
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Dabei dominiert erneut die Suche nach der AM-typischen goldenen Mitte. Vereinfacht ausgedrückt: Eine 140/150-mm-Kinematik muss nicht die Antriebsneutralität eines Racefullys besitzen, sollte aber dennoch wenig wippen und sich bei Anstiegen nicht in den Federweg ziehen.
Andererseits muss sie sensibel ansprechen, schluckfreudig Komfort und Sicherheit bieten, ohne gleich die Reserven eines Freeriders zu offenbaren. Ein kniffliger Kompromiss, da sich beide Pole gegenläufig beeinflussen: Ein auf Antriebseffizienz hin optimierter Hinterbau wird straff und wenig sensibel agieren – und umgekehrt.
Umso schöner für alle künftigen AM-Jockeys, dass das allgemeine Niveau am Heck überzeugt, mit Ausreißern nach oben wie unten. So erhielten Bionicon, Radon, Rotwild und Specialized „überragende“ Testnoten für ihre effizienten, aber straffen Fahrwerke.
Weniger Schläge, dafür mehr Kritik steckten die zu Race-mäßig straffen Kinematiken von Cannondale und Drössiger ein – Spitze in puncto Neutralität, aber selbst Marathonisti fehlt hier ein gerüttelt Maß an Komfort und Traktion.
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In dieser Kategorie für die Gesamtnote weniger ausschlaggebend, dennoch ist eine höhere Masse spürbar – positiv wie negativ.
So vermissten die Tester mit „schwerem Gerät“ nicht nur beim Klettern und Beschleunigen, sondern auch beim Trailheizen oft Agilität und Spritzigkeit. Auf der anderen Seite verspricht ein robust aufgebautes und entsprechend schweres All-Mountain seinem Piloten mehr Sicherheit und Reserven.
Umso überraschender, dass die Leichtgewichte von BMC, Canyon, Radon und Specialized im Downhill selbst mit der Spitze, den Mini-Enduros à la Giant und Rotwild, mithalten und dabei vielen vermeintlich fahrstabileren Kandidaten keck das Hinterrad zeigen. Denn hier kompensieren die perfekt ausbalancierten Geometrien und satte Fahrwerksreserven die teils tourigen Parts!
Dennoch: Wenn Sie Ihr AM nicht „nur“ als verspielten Tourer mit Reserven sehen, sondern verstärkt im harten Gelände unterwegs sind, sollten Sie auf Grundsätzliches achten: griffige, pannensichere Reifen, ein breiter Lenker und standfeste Bremsen (180-mm-Discs und mehr).
Gut: Auch wenn gerade beim Lenker einige Bikes Punktabzüge hinnehmen müssen, wirklich aus der Reihe tanzt nur die für AM-Einsätze klar unterdimensionierte Günstig-Bremse am Kona. Übrigens: MB wertete die vier Versenderbikes diesmal separat – zu groß ist der Bonus, den sie aus ihrer überlegenen Ausstattung ziehen.
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Bionicon: Schlecht bei Schlamm und Matsch! Die Schaltzüge verlaufen ungeschützt unter dem Unterrohr. Zudem sprang beim Einfedern oftmals der Zug zum Schaltwerk aus dem Endanschlag.
Giant: Eine alte „Giant-Krankheit“.Die Sattelstütze des Reign ist nur um wenige Zentimeter versenkbar. Somit wird eine teure Vario-Stütze bei diesem per se so fahrspaßigen Bike quasi Upgrade-Pflicht.
Drössiger: Autsch! Das Drehrad zur Einstellung der Zugstufe des Federbeins wird fast vollständig von der Wippe verdeckt. Ohne gequetschte Finger lässt sich der Rebound kaum verstellen.
Focus: Vom ersten Meter an hakelte sich die Revelation-Gabel durch den Federweg. Wenig später sprang die Dichtung heraus, und schlussendlich verweigerte die Forke komplett den Dienst.
Cube: Wie Ghost beim AMR+ verbauen die Oberpfälzer im Stereo-Heck eine Steckachse nach X12-Standard. Diese verspricht höhere Steifigkeiten, soll zudem Rahmentoleranzen ausgleichen.
Rotwild: Viel zu selten anzutreffen! Die Rubber-Queen-Reifen sind auch in 2,2“ ordentlich breit und bieten selbst im Nassen exzellenten Grip. Nur der Durchstichschutz ist eher gering.
Kona: Simsalabim! Der „Magic Link“, eine Stahlfeder mit einer Art Schlitten, verbindet den Dämpfer mit der Kettenstrebe und passt Fahrwerk sowie Geometrie dynamisch den Gegebenheiten an.
Canyon: Die Koblenzer spezifizieren (wie Rose) Formulas mächtige The-One-Bremse mit 203-mm-Disc an der Gabel. Die sorgt für exzellente Power, wiegt dabei weniger als manche Race-Bremse.
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Wer heute ein All-Mountain-Fully kaufen will, dürfte angesichts der Vielfalt dieser Kategorie wie der sprichwörtliche Ochs vorm Berg der Angebote stehen. Vom 10,7-Kilo-Leichtgewicht (MB 10/09) bis zum 15-Kilo-„Brocken“ reicht die Palette der Bikes, die mit dem verkaufsfördernden Kürzel „AM“ Kunden umgarnen.
Logo, dass solch extrem unterschiedliche Bikes – auch preislich – nicht in einer Liga spielen. Aber auch bei einer einheitlichen Preiskategorie wie in diesem Test besteht die „Äpfel-und-Birnen-Gefahr“. Entsprechend intensiv waren die Diskussionen in der MB-Redaktion: Passt ein in Relation leicht aufgebautes 140-mm-Fully wie etwa das Stumpi in diesen Test? Und vor allem: „Darf“ es ihn gewinnen? Antwort: Ja, es darf!
Nicht nur weil die Parts – wenn auch teils knapp – die Mindestanforderungen erfüllen und weil Sahne-Handling sowie schluckfreudig-stabiles Fahrwerk das „Untergewicht“ kaschieren, sondern weil es ein perfektes, ungemein vielschichtiges Bike für jeden Tag im – gerne groben – Gelände ist. Und damit dem eigentlichen All-Mountain-Anspruch mehr als nur gerecht wird. Dennoch: Die Kategorie All-Mountain steht am Scheideweg zwischen leichtfüßigem Trailbike meist amerikanischer Prägung und den robuster aufgebauten Pendants, oft aus deutschen Landen.
Und die Schere wird in den kommenden Jahren weiter auseinandergehen: Die leichten AMs werden noch asketischer und zur Konkurrenz der Marathonfullys, die „schweren“ wildern mit potenten 150-mm-Fahrwerken immer mehr im Gehege der Enduros. Ganz klar, beide Spielarten haben absolut ihre Berechtigung – ob sich der Kunde im AM-Dschungel aber auch in Zukunft noch zurechtfinden wird, bleibt fraglich.
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