Der europäische 29er-Markt gibt Vollgas. Ganz vorne mit dabei: schnelle Hardtails. MountainBIKE hat acht neue 2012er-Modelle getestet.
Der europäische 29er-Markt gibt Vollgas. Ganz vorne mit dabei: schnelle Hardtails. MountainBIKE hat acht neue 2012er-Modelle getestet.
Nein, es war nicht so, dass die Vorteile der in den USA so populären 29er-Bikes in Europa keiner gekannt hatte ... Doch erst für die 2012er Saison hat sich – das kritische Deutschland im Speziellen – die Alte Welt zu einem möglichen Absatzmarkt für Twentyniner-MTB entwickelt.
Mehr noch: Europäische Bike-Firmen steigen jetzt entschlossen in dieses wachsende Bike-Segment ein. Zu Recht, bieten doch die Bikes durch die großen Laufräder in steilen Anstiegen merklich mehr Traktion, rollen deutlich leichter und schneller über Hindernisse und große Schlaglöcher als die bekannte 26“-MTBs.
Eigenschaften, die Fahrspaß und -sicherheit beim Fahrer steigern – und das vom Einsteiger bis hin zum Profi. Ersteren fällt zudem das Meistern technischer Passagen einfacher – ein schöner Lerneffekt.
Die Euro-Anbieter konzentrieren sich derzeit meist noch auf 29er-Hardtails, konzipiert für den Touren- und Marathoneinsatz. So auch das achtköpfige, ganz unterschiedliche MountainBIKE-Testfeld, das zudem demonstriert: 29er-Hardtails müssen kein Vermögen kosten!
Und so reicht die Range vom preisattraktiven Radon ZR Race 29 7.0 mit Aluminium-Chassis für 1.299 Euro über das Backfire Carbon 29 Ltd. für 2.199 Euro von Centurion bis hin zum exklusiven, 4.999 Euro schweren Titan-Bike Punch vom deutschen Vertriebspartner von Seven-Bikes. Was die Bikes im Einzelnen auszeichnet, das klärt MountainBIKE auf den folgenden Seiten.
Ein optisch souveräner Auftritt – wie selbstverständlich fügen sich die "Big-Wheels" in das weiße Chassis.
Dabei trägt der Alu-Rahmen unübersehbar die BMC-Handschrift: Das mehrfach gekantete, zum Tretlager hin quer profilierte Unterrohr soll den Rahmen gegen Verwindung impfen.
Tatsächlich erlebte MountainBIKE das Teamelite 29 als steifes und dank 11,2 Kilo Gesamtgewicht auch vortriebswilliges Rad.
Mittels 73,5° steilem Sitzwinkel geht das Schweizer Bike stark nach vorn, gibt sich mit schwer rollenden Onza-Canis-Pneus aber nicht superspritzig.
Traumhaft sicher steuert das TE 29 durch kurvenreiche Singletrails. Tiefes 306-Millimeter-Tretlager, kurze 426er-Kettenstreben und der breite 720er-Lenker produzieren ein Sahne-Handling!
So werden auch diffizile Downhills zum Genuss, zumal die Fox-Float-Gabel souverän federt und die Onza-Reifen hohen Grip aufbauen.
Mit tiefer Front (100er-Steuerrohr) und sportlicher Sitzposition hat es das BMC auch bergauf mächtig eilig.
Das Fazit: Touren-/Marathon-29er mit Spaßgarantie für 2.999 Euro.
Positiv
Negativ
Schwarz, schlicht, schnell – der neueste Canyon-Wurf gefällt auf den ersten Blick. Ausgestattet mit Aluminium-Rohrsatz, solidem Shimano/Sram–Schaltmix, Formula-RX-Bremse und XMM-100-Gabel von DT Swiss, erreicht der Neuling leichte 11,2 Kilo.
Fünf erfahrene Piloten standen zum Test Spalier und gaben dem Canyon im Laufe der Testwoche die Sporen. Die ersten Kurven verrieten den Charakter: wendig ohne nervöse Zuckungen!
Das Canyon steuerte bei Bedarf aber auch neutral über den Trail und überzeugte durch den kompetenten Mix aus hoher Laufruhe und Agilität. Der moderat flache 69,5°-Lenkwinkel und kürzere 435-Millimeter-Kettenstreben machen das möglich.
Auch im Anstieg glänzte das Canyon mit Geradlinigkeit und Druck auf dem Vorderrad. Lob erntete obendrein die praktische 29er-Übersetzung: Die 22/36-Zähne-Kurbel ermöglicht in Kombination mit der 11–36er-Kassette eine schonende Gangwahl, was besonders im Steilen hilft. Ein wenig Sitzkomfort vermittelt die flexible Carbon-Sattelstütze. Viel Fahrsicherheit genießt der Pilot im Downhill.
Kritik: Die überdämpfte, in der Folge straffe DT-Swiss-Gabel sprang von Wurzel zu Wurzel. Mit breitem Ritchey-Lenker blieb das Rad dennoch gut kontrollierbar. In der Summe ist Canyons 29er-Debüt gelungen, das Grand Canyon AL 29 ein gutmütiger Langstreckenbolide, der gern auch mal Marathon-Rennluft schnuppert.
Das Modell 8.9, mit 1.499 Euro die günstigste der drei angebotenen Varianten, belegt zudem, dass so viel breitbandige Nutzbarkeit nicht gleich ein Vermögen kosten muss.
Positiv
Negativ
"Race" – der Name nimmt den Charakter des ZR 29 vorweg. Denn wenn auch mit 10,9 Kilo trotz leichter Shimano-XT-Gruppe schwer, geht das Rad dank 96-Millimeter kurzem Steuerrohr und gestreckter Sitzposition (603er-Oberrohr, 100er-Vorbau) sauber vorwärts.
Die starken Rolleigenschaften bringen den Fahrer auch gut bergauf, allerdings erweist sich die Sitzposition in technischen Passagen als zu gestreckt – das Radon gerät für Einsteiger unhandlich.
Die Renn-Natur des Bikes blitzt auch im Downhill auf: Lang gezogene, schnelle Kurven nimmt das Alu-Hardtail dank großzügigem 1.109-Millimeter-Radstand und gemäßigt flachem 70°-Lenkwinkel sicher. Dabei bleibt es noch gut beherrschbar; ein breiterer Lenker empfiehlt sich für Tourenfans trotzdem.
Auch wenn Konstrukteur Bodo Probst dem Alu-Chassis filigrane Sitzstreben und eine dünne 27,2er-Stütze mitgegeben hat: Komfort lässt der Rahmen missen. Anders als die schluckfreudige SID-Gabel von Rock Shox, die Wurzeltrails entmystifiziert.
Fazit: ein 29er für rennbegeisterte Biker, die die sehr sportliche Sitzposition und das spezielle Handling des fair bezahlten ZR Race 29 7.0 (1.299 Euro) zu schätzen wissen.
Positiv
Negativ
Auch die bayerische Firma Ghost hat sich erst für 2012 mit dem Thema 29er auseinandergesetzt. Umso überlegter kommt das Aluminium-Chassis des HTX-29er-Actinum 9000 (1.499 Euro) daher.
Das voluminöse Unterrohr findet am breiten Pressfit-Tretlager eine große Anbindungsfläche und verspricht wie die bulligen Sitzstreben Steifigkeit. Überhaupt wirken Rahmen und die soliden, aber schmucklosen Ghost-Parts, als könnten sie Kriege überstehen.
Den Antritt der Tester jedenfalls münzte das steife Chassis effektiv in Vortrieb um – doch nehmen das hohe Gewicht von knapp 12 Kilo und die leicht nach hinten versetzte Sitzposition (Stützenversatz, flacher 72,5°- Sitzwinkel) Tempo raus.
Erst mit leicht vorgeschobenem Sattel sitzt der Fahrer zentral und erobert auch Steilanstiege problemlos.
Temporeiche Abfahrten, schnelle Richtungswechel? Hier verführt das Ghost durch hohe Laufruhe (69,5°-Lenkwinkel) und breiten, allerdings zu wenig gekröpften Lenker zum Rasen, bleibt dank kurzem Radstand und 302-Millimeter tiefem Tretlager gleichzeitig wendig. Schade: Das Aluminium-Chassis bietet nahezu keinen Komfort.
Positiv
Negativ
Mit großen Laufrädern kennen sie sich aus in Hamburg – für sein Engagement im Cross-Sport ist Stevens bekannt. Diese Kompetenz merkt man dem Colorado (1.699 Euro) sofort an.
Die Geometrie platziert den Fahrer via tiefes Tretlager (30-Millimeter) und kurzes 96-Millimeter-Steuerrohr schön zentral und sportlich. Kombiniert mit dem 74° steilen Sitzwinkel und nur 11 Kilo Gesamtgewicht, generiert das Bike über das steife Alu-Chassis starken Vortrieb.
Auch im Uphill fühlt sich das Stevens wohl – über das tiefe Cockpit baut es hohe Traktion auf, trotz schlecht zubeißender Performance-Rocket-Rons.
Richtig aus sich raus geht das Rad dann in den Händen eines erfahrenen, rennaffinen Piloten auf engen, wurzeligen Trails: Hier punktet der 71,5° steile Lenkwinkel, unterstützt die tiefe Front eine aktive Fahrweise.
Mit Bedacht will der verspielt-agile 29er indes in schnelle Abfahrten und Anlieger gesteuert sein – der Lenkwinkel und das tiefe Cockpit erfordern gute Radbeherrschung. Der zu schmale 620er-Lenker – einziges Nicht-Serienteil – war hier keine Hilfe. In Serie kommt das Colorado 401 allerdings mit einem 660-Millimeter-Lenker.
Positiv
Negativ
Um seine stolzen Formen ist das Backfire-29er-Chassis nicht verlegen – ein bulliges Unterrohr schwingt vom Steuerrohr zum Pressfit-Tretlager, das Oberrohr spannt sich bogenförmig zum Sitzrohr. Mit dem einzigen Kohlefaser-29er im Test zielt Centurion auf Marathon-Racer.
Und? Auch harten Antritten weicht das steife Carbon-Chassis nicht aus, hängt mit leichten Fulcrum-Red-Power-Laufrädern und sportiver Sitzposition (623er-Oberrohr) am Gas – toll für die Langstrecke. Spritzig ist es trotz Carbon-Rahmen nicht – bei nur 2.199 Euro liegt der Fokus auf Rahmen und wertiger Fox-Gabel, der Preisdruck erklärt die unerotisch-schwere Ausstattung und die 11,4 Kilo.
Dennoch: Leicht rollend macht das Bike auch in der Marathon-Paradedisziplin, dem Uphill, Spaß. Allein mit langem 110er-Vorbau wirkt es in kniffligen Passagen bergauf wie -ab unhandlich. Auf schnellen Abfahrten liegt das Backfire 29 mit lang bemaßtem Radstand (1.107-Millimeter) ruhig, filtert der Carbon-Rahmen effektiv Stoßspitzen. Ein Langstreckenbolide, dessen Shimano-446/505er-Bremsen aber deutlich zu wenig Bremskraft bereitstellen.