Check: Sportliche Tourer um 120mm
Acht 120-mm-Fullys im Test

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Marathonrennen? Epische Tour? Trails rocken? Diese acht superleichten Fullys mit rund 120 mm Federweg machen bei all diesen Vorhaben eine klasse Figur. Doch welches ist wirklich der perfekte Alleskönner?

Downcountrys 02/2022
Foto: Stefan Eigner

Sie sind der buchstäbliche Renner der Saison 2022, fast jeder namhafte Hersteller präsentiert eine Neuheit in diesem Segment: Die Rede ist von hochsportlichen 120-mm-Fullys, die sich als perfekte Mitte zwischen asketischen 100-mm-Racefullys und properen 130-mm-Trailbikes etablieren wollen. Wobei es wohl nicht so einfach ist, sich auf einen Namen für diese Supersportler zu einigen: Die Hersteller sprechen oft von Down-Country-Bikes, aber auch von XC-Trailbikes, mal von Trail-Tourenbikes. Oder von allem zugleich. Das liest sich dann bei einer Marke (nicht im Test) so: "[...] ist der ultimative Marathon-Racer und Highspeed-Trailblazer. Worldcuperprobt und All-Mountain-bewährt."

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Stefan Eigner
Eiszeit 2.0: Während unseres Tests sorgte Schneefall kurzzeitig für winterliche Bedingungen beim Notieren der Testeindrücke.

Dir raucht der Kopf? Uns auch. Also machen wir Schluss mit Marketing und fragen: Wo punkten diese Bikes? Und wer ist mit ihnen top beraten? Grob gesagt sind diese Sportskanonen erst mal XC-Racefullys mit einem großen Schnaps mehr Federweg. In unserem Testfeld: 120 mm vorne (Scott 130 mm) und 110 bis 120 mm am Heck. Damit sollen sich ambitionierte Hobby-Marathonisti auf der Suche nach einem "Rennrad" mit mehr Komfort angesprochen fühlen. Aber in unseren Augen sind es vor allem die Fans ausdauerorientierter Touren, für die es sonst kein Angebot mehr gibt: Klassische, leichte Tourenfullys sind ausgestorben und aktuelle Trailbikes mit ihren rund 13 Kilo für die meisten Kilometerfresser zu schwer. Welche Wohltat, wenn man sieht, dass die Bikes in diesem Test im Schnitt nur knapp über elf Kilo wiegen! Und – so viel vorweg – dank der grundsätzlich modernen Geometrien zaubern sie auch auf dem Trail ein Lächeln ins dreckbespritzte Gesicht. Ja, das hat (leider) seinen Preis. Zwischen 5800 und 8900 Euro kosten unsere acht Testbikes! Wir haben uns dennoch bewusst für diese Highend-Klasse entschieden. Zum einen, weil die Liefersituation im unteren und mittleren Preissegment noch angespannter ist. Zum anderen, weil wir wissen wollten, was diese Kategorie maximal zu leisten vermag.

Kleine Brüder, große Brüder

Fast alle Testkandidaten setzen dabei auf eine Rahmenbasis, die eng verwandt mit den Rennboliden der XC-Kategorie ist: BMC, Santa Cruz und Simplon wählen den gleichen Carbon-Frame und erreichen mehr Heckfederweg durch einen längeren Dämpfer oder eine andere Umlenkwippe. Scott würzt das Spark 900 für mehr Bergabperformance mit einem volumigeren Dämpfer und stellt den Lenkwinkel via justierbarem Steuersatz flacher. Canyon spendiert dem Lux Trail im Vergleich zum Lux (XC) einen neuen Hauptrahmen, der länger und flacher ausfällt, den Bürzel teilt es sich dann wieder mit dem Lux, das Mathieu van der Poel im XC-Worldcup lenkt. Specialized setzt am Epic Evo auf einen anderen Hinterbau, hier ist der Hauptrahmen identisch zur 100-mm-XC-Variante. Einen ganz anderen Weg geht der Forchheimer Versender YT: Das eigentliche Trailbike Izzo wurde im Federweg vorne wie hinten kastriert und kommt somit vortriebsorientierter daher.

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Stefan Eigner
Dsas Wetter tat dem Praxistest keinen Abbruch: Dank des angriffslustigen Charakters der 120-mm-Fullys wurde uns schnell warm.

Auch geometrieseitig unterscheidet sich das Testfeld: So reicht die Anstellung des Lenkkopfs von sehr flachen 65,8° (Scott) bis zu moderat-steilen 67,5° (Canyon, Giant, Simplon). Der Reach, also der Wert, der angibt, wie viel Bike man in stehender Fahrposition "vor sich" hat, zeigt von kompakten 437 mm am Specialized bis langen 471 mm am Simplon (in Größe L) ebenfalls diverse Ansätze. Wirklich altbacken kommt aber keines der Testbikes daher. Dennoch: Einigkeit, wie ein modernes Bike für Marathons und rassige Touren aussehen muss, herrscht in der Bike-Industrie (noch) nicht – was auch unsere Interviews zeigen.

Auch die Reifenwahl der Hersteller belegt dies. Vermeintlich ein kleines Detail, aber die Pneus entscheiden eben mit, wie schnell ein Bike im Vortrieb ist und wie es sich auf technischen Trails schlägt. Giant, Santa Cruz und YT setzen auf den schnellen, aber bei Matsch etwas "zahnlosen" Maxxis Rekon Race, Simplon zieht gar waschechte XC-Pellen in (zu) schmalen 2,25" aufs Cirex. Scott und Canyon suchen die goldene Mitte aus Grip und Vortrieb, verbauen griffige Schwalbe-Wicked-Will-Reifen, die etwas zäher beschleunigen. Noch mehr Profil gibt es bei BMC und Specialized, die Pneus aus dem Trailbike-Regal verwenden. In der Praxis bestätigt sich das alles. Der leichteste und am flinksten bereifte Artgenosse, das Simplon Cirex SL, enteilt am Berg der Konkurrenz. Nur das feurige Giant, das Canyon und das überraschend leichte Santa Cruz Blur können hier folgen, auch das BMC hängt gut am Gas. Mit all diesen Bikes sind dir am Start eines Marathonrennens neidische Blicke gewiss! Das Schlusslicht im Uphill bildet das über 12 Kilo wiegende Scott, das ein wenig mit seiner schweren Laufrad-Reifen- Kombi zu kämpfen hat. Und trotzdem: Im direkten Vergleich mit aktuellen Trailbikes mit 130– 140 mm Hub ist auch das Spark eine Rakete! Der in diesem Test vergleichsweise(!) gemütliche Auftritt des Sparks ändert sich spätestens am Traileingang: Ab nun düpiert das Spark den Rest. Alle, die es auf ihren ausgedehnten Touren auch bergab krachen lassen wollen, finden hier ihren Traumpartner. Ebenfalls für ein Trail-Hallelujah eignet sich das YT.

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Stefan Eigner
„One Bike does it all? Diese Supersportler sind für mich die goldene Mitte in Sachen Federweg, Gewicht und Geometrie. Touren, Trails, Rennen? Alles ist drin!“ - Redakteur Lukas Hoffmann

Unterm Strich überzeugen die 120-mm-Fullys voll und ganz als Allrounder! Sie müssen sich bergauf nur knapp den 100-mm-Racefullys geschlagen geben, im Gelände sind sie fast so spaßig wie Trailbikes unterwegs, auf langer Strecke bieten sie den Komfort klassischer Tourer. Den Testsieg heimst das tolle, teure Santa Cruz ein, die Kauftipps gehen an die nobel ausgestatteten Versender-Bikes von Canyon und YT.

Ergebnisse im Detail

Punkte und Benotung

Alle unsere Biketests bauen auf einer der jeweiligen Kategorie entsprechenden Punktewertung auf, die alle wichtigen Fahreigenschaften wie z. B. Handling, Vortrieb, Downhill und Uphill umfasst. Ein Drittel der Gesamtnote steuern Laborerhebungen wie Gewicht, Rahmen-Verarbeitung und Ausstattung bei. Hauptsächlich ergibt sich die Note aus umfangreichen Testfahrten auf einer zuvor festgelegten, der Kategorie angepassten Teststrecke. An den Testfahrten nehmen drei bis vier erfahrene Testfahrer mit teils Rennerfahrung oder technisch fundiertem Wissen teil. Bei den Sporttourern standen vor allem die Allround-Eigenschaften und somit der gelungene Mix aus Vortriebseffizienz und Bergab-Performance im Fokus. Die notierten Bewertungen der Tester sowie die Punktevergabe aus dem Labor fließen in die unten stehende Punktetabelle ein. Bei maximal 1000 Punkten ist das Bike mit den meisten Zählern der Testsieger.

Downcountry Bikes 02/2022 Ergebnisse Detail
MOUNTAINBIKE

Das Spinnennetz

... zeigt, wo die Stärken und Schwächen des Bikes in Relation zum Testumfeld liegen. Je größer der Ausschlag in einer der acht Kategorien, desto prägender der jeweilige Charakterzug. Das Spinnennetzdiagramm visualisiert den Charakter des jeweiligen Bikes. Auf einen Blick lässt sich erfassen, ob das Bike zu deinen Anforderungen passt.

MB-All-Mountain-Test 2021 Geo

Diese acht Cross-Country-Fullys haben wir getestet

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Erscheinungsdatum 02.04.2024